Gehirn produziert Wachstumsfaktoren die beim Lernen und der Gedächtnisbildung beteiligt sind

Die fehlerfreie Entwicklung von Gehirnzellen und ihrer Verschaltungen untereinander bilden die Grundlage von Lernen und Gedächtnisbildung – Prozesse, die trotz immenser Fortschritte immer noch nicht umfassend verstanden sind. Dem Team um Prof. Dr. Arthur Konnerth und PD Dr. Christine Rose vom Institut für Physiologie der LMU gelang nun der Nachweis, dass bestimmte, vom Gehirn produzierte Wachstumsfaktoren beim Lernen und der Gedächtnisbildung beteiligt sind – mit bislang unbekannter Wirkungsweise (Nature, Bd. 426, S. 74-78, 2003). Überraschend war auch, dass die so genannten Gliazellen, denen bislang nur Stützfunktionen zugeschrieben wurden, dabei eine entscheidende Rolle spielen. „Unsere Entdeckung ist wichtig für ein besseres Verständnis verschiedener Gehirnfunktionen“, so Konnerth. „Sie bietet aber auch einen neuen, vielversprechenden Ansatzpunkt für die Behandlung degenerativer Gehirnerkrankungen.“

Bereits bekannt war, dass Störungen in der körpereigenen Produktion dieser Wachstumsfaktoren zu Defiziten im Lernvermögen führen. Die zugrunde liegenden zellulären Wirkmechanismen waren zwar noch weitgehend unverstanden, aber Konnerth und seine Mitarbeiter beobachteten schon vor Jahren, dass kleinste Mengen des im Gehirn produzierten Wachstumsfaktors BDNF („brain-derived neurotrophic factor“) elektrische Signale und Kalziumveränderungen in Nervenzellen hervorrufen. Kalzium ist ein intrazellulärer Botenstoff von zentraler Bedeutung für alle Körperprozesse, von der Muskelanspannung bis zur normalen Gehirnfunktion. Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse wurde vermutet, dass diese Wachstumsfaktoren vor allem auf Nervenzellen, die Hauptträger der Informationsverarbeitung und -weiterleitung, wirken.

In ihrer neuen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Studie setzten Konnerth, Rose und ihr Team auf eine innovative Methodenkombination: Neben molekularbiologischen Techniken kamen moderne Hochleistungsmikroskope zum Einsatz, um auch kleinste Veränderungen der Kalziumkonzentrationen in einzelnen, lebenden Gehirnzellen verfolgen zu können. So gelang der Nachweis, dass die Wirkung von Wachstumsfaktoren nicht auf Nervenzellen beschränkt ist. Tatsächlich bewirkt der Wachstumsfaktor BDNF auch in den so genannten Gliazellen schnelle Veränderungen des zellulären Kalziumspiegels.

Gliazellen stellen den zahlenmäßig häufigsten Zelltyp im Gehirn dar und wurden lange Zeit als reine Stütz- und Versorgungseinheiten für Nervenzellen, welche sie gewissermaßen „umkleiden“, angesehen. „Es zeichnet sich aber immer stärker ab, dass Gliazellen auch die Kommunikation zwischen Nervenzellen beeinflussen“, berichtet Rose. „Die von uns neu entdeckte Aktivierung von Gliazellen durch BDNF weist darauf hin, dass Wachstumsfaktoren eine Interaktion zwischen Nerven- und Gliazellen auslösen, die über diesen Weg direkt in die Informationsverarbeitung im Gehirn eingreifen.“

Ein weiterer überraschender Befund der Untersuchungen ist, dass die Wirkung von BDNF auf Gliazellen über völlig andere molekularen Mechanismen vermittelt wird als in Nervenzellen. Konnerth, Rose und ihr Team konnten zeigen, dass die Wirkung von BDNF durch so genannte Rezeptoren, also bestimmte Proteine in der Zellmembran, vermittelt wird. Ihnen wurde bislang nur eine Rolle bei der Pufferung des Wachstumsfaktors zugeschrieben.

Vieles spricht dafür, dass diese neu entdeckte Wirkung von Wachstumsfaktoren von grundlegender Bedeutung für die normale Funktion des Gehirns ist – vor allem auch für die Plastizität des Nervensystems bei Lern- und Wachstumsvorgängen. Da neurodegenerative Erkrankungen wie die Alzheimer’sche oder die Parkinson’sche Krankheit mit massiven Störungen dieser Prozesse einhergehen, eröffnet das Wissen über die Wirkweise der Wachstumsfaktoren neue Wege in der Entwicklung von medikamentösen Therapieansätzen bei derart verheerenden Gehirnschädigungen.

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Arthur Konnerth
Institut für Physiologie der LMU
Tel.: +49-89-5996-510, Fax: -512
E-mail: konnerth@lrz.uni-muenchen.de

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Cornelia Glees-zur Bonsen idw

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