Bisher einmalig: 19 Erreger in einem Testansatz

Daten aus PID-ARI.net ermöglichen enorme Einsparungen

Akute Atemwegsinfektionen bei Kindern, wie Bronchitis und Lungenentzündung, sind für eine Vielzahl von Arztbesuchen und Krankenhauseinweisungen verantwortlich. Dennoch ist die Epidemiologie dieser Infektionen in Deutschland noch weitgehend unerforscht. Kinder werden meist „blind“ anhand der Symptome behandelt, welches Virus oder Bakterium sie verursacht, bleibt unbekannt. „Solange wir nicht wissen, welche Erreger genau die Erkrankungen auslösen, werden Antibiotika weiterhin zu häufig eingesetzt und der relative Anteil der einzelnen Erreger an den Atemwegsinfektionen bleibt unklar“, erläutert Dr. med. Josef Weigl, Pädiatrischer Infektiologe am Campus Kiel des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein und Koordinator des Forschungsnetzwerkes PID-ARI.net.

Das Forschungsnetzwerk hat sich zum Ziel gesetzt, diese Wissenslücken zu schließen. Zur Diagnostik wurde im mikrobiologischen Labor der Kieler Klinik für Allgemeine Pädiatrie ein Verfahren entwickelt: der Multiplex-RT-PCR-ELISA (eine reverse Transkription gefolgt von einer Polymerase-Ketten-Reaktion mit anschließender Spezifizierung der PCR Produkte in einem ELISA) kann in einem Ansatz auf 19 Erreger gleichzeitig testen. Untersucht wird Nasen-Rachen-Sekret (Nasopharyngealsekret) von Kindern unter 16 Jahren mit Symptomen einer Infektion der unteren Atemwege. „Uns ist keine andere Arbeitsgruppe bekannt, die es auf diesem Gebiet geschafft hat, so viele Erreger in einem einzigen Ansatz zu untersuchen“ erklärt Dr. rer. nat. Wolfram Puppe, Mitentwickler dieser PCR-Anwendung. „Vergleichbare Multiplex-Ansätze vereinen derzeit nur ca. 6 verschiedene Erreger.“

„RSV kommt Weihnachten“

Bordetella pertussis, Influenzaviren TypA und TypB, Chlamydia pneumoniae, Respiratory Syncytial Virus (RSV)… – die Liste der untersuchten Erreger liest sich wie ein Who is Who der Erreger schwerster Atemwegsinfektionen bei Kindern. „Unsere Forschungsergebnisse sollen direkt dem Gesundheitswesen dienen“, betont Weigl. „Schon heute können sie helfen, viele Tausend Euro zu sparen. Die wichtige, aber 4000 Euro pro Wintersaison teure, RSV-Prophylaxe für Kinder mit Risikofaktoren, könnte gezielter eingesetzt werden, wenn Ärzte wüssten, wann die Epidemie zu erwarten ist und wie lange sie andauert. Unsere Erfahrungen erlauben es uns inzwischen, gute Vorhersagen zu treffen. Die diesjährige RSV-Epidemie wird für Weihnachten erwartet.“

Aktuelle Situation im Internet

Welche Erreger gerade in Deutschland aktiv sind, kann im Web&Warn-System unter www.PID-ARI.net eingesehen werden. Die Website richtet sich vor allem an Ärzte und soll bald auch einen E-Mail-Warndienst bieten. Neben vielen weiteren Informationen steht im Kommentar eine Vorhersage, wann mit den nächsten Erkrankungswellen in Deutschland zu rechnen ist.

Probenaufkommen verzehnfacht

Als im Jahr 1996 die ursprüngliche Methode entwickelt wurde (Gröndahl et al., J. Clin. Microbiol. 1999;37:1-7), hatte das Labor in Kiel 200 bis 300 Proben auf neun Erreger zu untersuchen. Heute werden im Rahmen von PID-ARI.net ca. 3.000 Proben pro Jahr auf insgesamt 19 Erreger im zentralen Labor in Kiel getestet. Dahinter stecken eine ausgeklügelte Logistik und viel wissenschaftliches Know-how. “ Allein um die Durchführung des Tests und die Auswertung der Ergebnisse einheitlich und möglichst einfach zu gestalten und somit auch eine größere Anzahl an Proben bearbeiten zu können, haben wir uns eine eigene Software geschrieben“, erläutert Dr. Puppe.

Wie funktioniert der Nachweis?

Nachgewiesen werden hoch konservierte Bereiche des Genoms der einzelnen Erreger, die sich natürlich nicht ständig verändern dürfen. Damit das Verfahren für den Nachweis möglichst vieler Erreger praktikabel ist, werden die Primerpaare, welche diese Bereiche der 19 Erreger erkennen, in einem gemeinsamen Ansatz verwendet. „Eigentlich handelt es sich ja um zwei parallele, unter identischen Bedingungen durchgeführte PCR-Ansätze, in denen 14 bzw. 5 Primerpaare eingesetzt werden“, verrät Dr. Puppe mit einem Augenzwinkern. Bei dieser Vielzahl an Primer müssen die optimalen Temperaturen, bei denen die verschiedenen Primer arbeiten, möglichst eng beieinander liegen. Außerdem gilt es, gegenseitige Wechselwirkungen und Behinderungen der Primer untereinander zu minimieren, sowie die zum Nachweis aller Erreger optimalen Reaktionsbedingungen zu finden. Weiterhin ist es notwendig, die vervielfältigten Abschnitte des Genoms zusätzlich mit Erreger-spezifischen Sonden zu differenzieren. Diese Sonden erkennen die vervielfältigten, konservierten Bereiche der jeweiligen Erreger und fischen diese aus dem Ansatz heraus. Die Sichtbarmachung der herausgefischten Abschnitte erfolgt durch eine Enzym-katalysierte Farbreaktion. „Inwieweit dieser Test so handlich werden kann, dass er ohne großen Aufwand in jedem Labor mit Standardausstattung durchgeführt werden kann, bleibt abzuwarten.“

Was ist PID-ARI.net?

Der Name steht für „Pediatric Infectious Diseases Network on Acute Respiratory Tract Infections“. Klinische Forschung und Grundlagenforschung werden in diesem Netzwerk miteinander verbunden. Seine Basis sind drei „Epidemiologische Rekrutierungssysteme“ (ERS). In Freiburg, Kiel und Mainz werden in definierten Regionen Fälle akuter Atemwegsinfektionen bei Kindern unter 16 Jahren erfasst. Dafür arbeiten Universitätskliniken, Krankenhäuser, Praxen sowie der öffentliche Gesundheitsdienst zusammen. Die Ergebnisse erlauben Rückschlüsse auf die aktuelle Situation in ganz Deutschland.

Außerdem wird an jedem der drei Standorte geforscht. Unter anderem zur Infektionshäufigkeit und den Infektionswegen in der Bevölkerung, zur zellulären Immunität und möglichen Impfstoffen, zum optimalen Einsatz von Antibiotika und zu den Langzeitfolgen schwerer Atemwegsinfektionen.

Danksagung

PID-ARI.net wird bis April 2005 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung über den Projektträger DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.) gefördert.

Kontakt

Dr. med. Josef Weigl, (Netzwerkkoordinator)
Pädiatrische Infektiologie, Klinik für Allgemeine Pädiatrie
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Email: weigl@pediatrics.uni-kiel.de

Prof. Dr. med. Heinz-J. Schmitt, (Netzwerksprecher)
Pädiatrische Infektiologie, Zentrum für Präventive Pädiatrie
Kinderklinik der Johannes-Gutenberg-Universität, Mainz
Email: schmittj@kinder.klinik.uni-mainz.de

Media Contact

Susanne Schuck idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-kiel.de

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