Damit das Gehirn nicht außer Kontrolle gerät

Sowohl 9-Tetrahydrocannabinol, die psychoaktive Substanz von Cannabis sativa, als auch körpereigene Cannabinoide wie Anandamid binden an denselben Cannabinoid-Rezeptor, der im Gehirn präsent ist. Das Binden von 9-Tetrahydrocannabinol und Anandamid an den Cannabinoid-Rezeptor bewirkt eine Verringerung der Anregbarkeit des Neurons, und somit eine Dämpfung des Informationsaustausches zwischen den Neuronen. Foto: Max-Planck-Institut für Psychiatrie

Max-Planck-Forscherteam identifiziert einen wichtigen Schutzmechanismus im Gehirn auf der Basis von Cannabinoid-Rezeptoren

Die Zellen in unserem Gehirn tauschen untereinander intensiv Informationen aus über elektrische und chemische Signale nur dann funktioniert unser Gehirn richtig. Überschreitet die Intensität dieses Austausches eine gewisse Schwelle, dann kann es zu einem „Erregungssturm“ kommen, beim Menschen zu epileptischen Anfällen. Gemeinsam mit Kollegen der Universität Mainz sowie mit Wissenschaftlerteams aus Heidelberg, Neapel und Madrid konnten Forscher des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München zeigen, dass der Cannabinoid-Rezeptor zusammen mit den körpereigenen Cannabinoiden ein System im Gehirn darstellt, das die Neuronen vor solch einer schädlichen Überaktivität bewahrt. Wie die Forscher in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Science (3. Oktober 2003) berichten, neigen genetisch veränderte Mäuse, denen der Cannabinoid-Rezeptor fehlt, zu Krampfanfällen mit damit verbundenem Zelltod, d.h. der Schwellwert liegt niedriger, als die intakten Kontrolltiere. Darüber hinaus kann eine Erhöhung der körpereigenen Cannabinoid-Menge, so die experimentellen Befunde, tatsächlich vor Krämpfen und dem daraus resultierendem Tod von Nervenzellen schützen.

Schon seit mehr als 5000 Jahren ist die psychoaktive und therapeutische Wirkung von Extrakten der Cannabis-Pflanze bekannt. Als aktive Substanz von Cannabis sativa wurde -9-Tetrahydrocannabinol (THC) identifiziert. Im Gehirn bindet THC an Proteine, die so genannten Cannabinoid-Rezeptoren, die quasi wie Antennen funktionieren und auf diese Weise die Wirkung von THC vermitteln (Abb. 1). Die Existenz dieser Antennenmoleküle legte die Vermutung nahe, dass das Gehirn auch körpereigene Cannabinoide ausschüttet. Und tatsächlich konnten diese inzwischen nachgewiesen werden: Es handelt sich dabei um Fettsäure-Abkömmlinge, die von der Nervenzelle ausgeschüttet werden. Durch Bindung an den Rezeptor verändern sowohl THC als auch die körpereigenen Cannabinoide die Reaktionsbereitschaft der Nervenzellen, so dass diese weniger starke elektrische und chemische Signale aussenden. THC und körpereigene Cannabinoide wirken meist dämpfend auf die neuronale Erregbarkeit.

Mit genetischen, biochemischen und elektrophysiologischen Methoden untersuchten Forscher um Beat Lutz und Walter Zieglgänsberger vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München und um Christian Behl von der Johannes Gutenberg Universität in Mainz in Kollaboration mit Forschern aus Heidelberg, Neapel und Madrid ein Mausmodell, bei dem der Cannabinoid-Rezeptor in genau jenen Nervenzellen fehlt, die stimulierend auf die neuronale Signalübertragung wirken. In diesen Mäusen wurde die Reaktion auf eine experimentell ausgelöste starke Aktivierung ihrer Nervenzellen getestet. Das Fehlen des Cannabinoid-Rezeptors führte dazu, dass die Versuchstiere anfälliger für neuronale Hyperaktivität bis hin zu Krämpfen waren als die intakten Kontrolltiere (Abb. 2). Ähnlich wie bei den epileptischen Anfällen beim Menschen findet bei den Mausmutanten im Gehirn offensichtlich eine erhöhte, weitgehend unkontrollierte Signalübertragung statt. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse spekulierten die Forscher, dass dem Rezeptor zusammen mit den körpereigenen Cannabinoiden eine wichtige Rolle zukommt: Beide verhindern das Auftreten eines „neuronalen Erregungssturms“.

In der Tat werden das zeigten die biochemischen Untersuchungen zu diesem Zeitpunkt auch vermehrt körpereigene Cannabinoide gebildet. Mithilfe elektrophysiologischer Methoden konnten die Wissenschaftler darüber hinaus nachweisen, dass die Nervenzellen ohne Cannabinoid-Rezeptoren mit einer gesteigerten Empfindlichkeit auf aktivierende Botenstoffe (wie Glutamat) im Gehirn reagieren ein weiterer Hinweis darauf, dass sich Cannabinoide vorwiegend dämpfend auf neuronale Systeme auswirken. In den Mutanten können darüber hinaus eine Reihe von Genen nicht angeschaltet werden, deren Eiweißprodukte die Neuronen normalerweise vor einem durch Krampfanfälle verursachten Zelltod schützen.

Da zahlreiche neurodegenerative und neurologische Erkrankungen beim Menschen ebenfalls durch übermäßige Aktivität der Neuronen charakterisiert sind, könnten aus der Erkenntnis der schützenden Funktion der körpereigenen Cannabinoide unter Umständen neue Therapiekonzepte für die Behandlung dieser Erkrankungen abgeleitet werden. Idealerweise sollten die Cannabinoid-Rezeptoren nur dort aktiviert werden, wo auch eine zu hohe Aktivität der Neuronen auftritt. So lässt sich beispielsweise mithilfe spezifischer Pharmaka der Abbau körpereigener Cannabinoide blockieren. Damit wird ihre Wirkung verstärkt sowie die Krampfanfälligkeit herabgesetzt und Nervenzellen geschützt.

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