Krebsschalter aus der Retorte

Abb. 1: Vereinfachte Darstellung des Signalweges, bei dem die Ras- und Raf-Proteine eine entscheidende Rolle spielen. <br> <br>Grafik: Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie <br>

Max-Planck-Forschern gelingt erstmals chemische Synthese von zwei komplexen Proteinen, die für Zellwachstum, Zellteilung und Krebs verantwortlich sind

Proteine gezielt chemisch herzustellen war bisher aus technischen Gründen nur auf kleine Moleküle beschränkt. Neue Fortschritte in der chemischen Synthese erlauben nun das Verknüpfen von mehreren Protein-Fragmenten, so dass auch größere Proteine synthetisiert werden können. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Molekulare Physiologie in Dortmund und der University of Chicago konnten jetzt erstmalig zwei miteinander wechselwirkende Proteine, das Ras-Protein und die Ras-bindende Domäne des Raf-Proteins, vollsynthetisch herstellen. Das Ras-Protein ist ein wichtiger Schalter in allen menschlichen Zellen, der bei einem Defekt wesentlich zur Entstehung von Krebs beiträgt. Die künstliche Herstellung der beiden Proteine eröffnet neue Möglichkeiten, um ihre biologisch bedeutsame Wechselwirkung besser untersuchen und zum Beispiel einen Test für das Vorhandensein pathologisch veränderter Ras-Proteine entwickeln zu können (PNAS Online, 18. April 2003).

Die Fähigkeit, biologische Moleküle mit den Methoden der synthetischen Chemie herzustellen, ist eine bedeutende Errungenschaft der modernen Wissenschaft. Doch trotz eindrucksvoller Synthesen in den vergangenen Jahrzehnten war das mit den wichtigsten biologischen Makromolekülen, den Nukleinsäuren und Proteinen, nur begrenzt möglich. Moderne molekularbiologische Methoden erlauben es heute zwar, Proteine in relativ großen Mengen sogar im Industriemaßstab herzustellen. Doch diese Techniken haben den Nachteil, dass dabei in die Proteine – mit wenigen Ausnahmen – nur natürlich vorkommende Aminosäuren eingebaut werden können. Die Möglichkeit, auch andere Aminosäuren zu integrieren, würde ein erheblich erweitertes Anwendungsspektrum für diese Proteine ermöglichen. Beispiele, die für die Grundlagenforschung von Interesse wären, sind der Einbau von Aminosäuren mit sogenannten „Reporter-Gruppen“ oder „Reporter-Atomen“ an ganz spezifischen Stellen eines Proteins, der Einbau von chemischen Gruppen mit grundsätzlich anderen Eigenschaften als Aminosäuren oder der Einbau von „Anker-Gruppen“, um Proteine gezielt auf Oberflächen (zum Beispiel von Biochips) zu fixieren. Ein anderes Einsatzgebiet ist die Herstellung von Proteinen in ihrer „reifen“ Form, etwa mit angehefteten Lipid- oder Zucker-Restgruppen, die sonst für die Untersuchung mit molekularbiologischen Methoden nur schwer zugänglich sind. Zu möglichen praktischen Anwendungen gehören die bereits erwähnten Biochips (Proteinchips) beispielsweise für die Diagnostik, Enzyme mit neuartigen katalytischen Eigenschaften oder Arzneimittel aus stabileren und deshalb wirksameren Abkömmlingen der natürlichen Proteine.

In den letzten Jahrzehnten sind enorme Fortschritte auf dem Gebiet der Proteinsynthese gemacht worden, die es prinzipiell ermöglichen, das ganze Arsenal der Chemie für die Modifizierung von Proteinen zu nutzen. Allerdings waren Bemühungen zur Synthese von großen Proteinen bis vor einigen Jahren wenig erfolgreich, weil es mit chemischen Methoden nicht gelang, Proteinketten mit mehr als etwa 70 Aminosäuren herzustellen. Doch nur wenige biologisch interessante Proteine sind so klein, so dass der synthetische Zugang zu den meisten der Hunderttausende in der Natur vorkommenden Proteine verwehrt schien. Erst in den letzten Jahren wurden Methoden entwickelt, die das Zusammenkleben („Ligation“) von kleineren Proteinfragmenten erlauben, so dass prinzipiell auch erheblich größere Proteine hergestellt werden können.

Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für molekulare Physiologie in Dortmund ist es jetzt – zusammen mit einer Gruppe an der University of Chicago – gelungen, zwei Proteine vollsynthetisch herzustellen, die in der Natur eine wichtige Wechselwirkung eingehen: das Ras-Protein (das Proteinprodukt eines so genannten Protooncogens) und den Ras-bindenden Bereich des Raf-Protein. Das Raf-Protein ist eine so genannte Proteinkinase, die ein Signal in Form einer Phosphatgruppe auf ein anderes Protein übertragen kann. Das Ras-Protein funktioniert als wichtiger molekularer Schalter innerhalb aller menschlichen Zellen und gibt im „aktivierten“ Zustand ein Signal an das Raf-Protein weiter. Dieses Signal führt über mehrere Folgereaktionen zur Aktivierung von Zellwachstum und Zellteilung (Abb. 1). Schon seit geraumer Zeit ist bekannt, dass defekte Ras-Proteine, die dieses Signal auch ohne einen äußeren Reiz an die Zelle ständig weitergeben, wesentlich zur Entstehung von Krebs beitragen, da die Zellproliferation außer Kontrolle gerät. So werden Mutationen im Ras-Gen zu einem hohen Prozentsatz bei menschlichen Tumoren gefunden.

Die Dortmunder und Chicagoer Wissenschaftler haben damit erstmals gezeigt, dass die chemische Synthese von zwei in der Natur wechselwirkenden Proteinen zu einem biologisch komplett funktionstüchtigen Proteinpaar führen kann. Dies belegen die Thermodynamik und Art der Wechselwirkung zwischen beiden Proteinen, die sich von den Eigenschaften vergleichbarer biologisch synthetisierter Proteine nicht unterscheiden. Eine schematische Darstellung der Synthese zeigt Abb. 2. Das Ras-Protein wird wegen seiner Länge (166 Aminosäuren) aus drei, das RBD-Protein aus zwei Fragmenten durch Synthese auf einer festen Phase hergestellt. Damit die Ligationsreaktion zu einer natürlichen Peptidbindung führt, müssen die Enden der Fragmente, die miteinander verknüpft werden sollen, chemisch in entsprechender Form vorliegen, genauer der C-Terminus des N-terminalen Fragments muss als Thioester vorliegen und die erste Aminosäure des folgenden Fragments als ein Cysteinrest. Nach der Ligation der Fragmente entstehen lange Proteinketten, die zunächst noch nicht in ihrer natürlichen Form vorliegen, da sie nicht korrekt „gefaltet“ sind. Diese Faltung der Proteine gelingt jedoch mit relativ einfachen Methoden in wässriger Lösung, so dass voll funktionsfähige Proteine entstehen.

Nach der Umsetzung dieses Grundschemas zur Herstellung der beiden Proteine können die Wissenschaftler nun die Proteine gezielt gegenüber ihren natürlichen Strukturen verändern. So ist es ihnen bereits gelungen, eine Art „Reporter-Gruppe“ (einen fluoreszierenden Rest) an einer bestimmten Stelle des Raf-Proteins einzuführen, um das Vorhandensein des Ras-Proteins in seiner aktivierten Form anzuzeigen (Becker,C.F., Hunter,C.L., Seidel,R.P., Kent,S.B., Goody,R.S., and Engelhard,M. (2001). A sensitive fluorescence monitor for the detection of activated Ras: total chemical synthesis of site-specifically labeled Ras binding domain of c-Raf1 immobilized on a surface. Chem.Biol. 8, 243-252.) Auf dieser Basis wollen die Forscher nun einen Test zur Anzeige pathologisch (d.h. krankhaft) veränderter Ras-Proteine entwickeln.

Originalveröffentlichung:

Becker,C.F., Hunter,C.L., Seidel,R.P., Kent,S.B., Goody,R.S., and Engelhard,M. (2002). Total chemical synthesis of a functional interacting protein pair: the proto-oncogene H-Ras and the Ras-binding domain of its effector c-Raf1. Proc.Natl.Acad.Sci.U.S.A 100

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Prof. Roger Goody
Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie, Dortmund
Tel.:0231 133 2300
Fax:0231 133 2399
E-Mail: goody@mpi-dortmund.mpg.de

Media Contact

Dr. Andreas Trepte Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de/pri03/pri0341.htm

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