Düfte locken Spermien zum Ei

Ein Maiglöckchen-ähnlicher Duft lockt Spermien an

Riechrezeptor an Spermazellen entdeckt. Neue Möglichkeiten bei Kinderwunsch und zur Verhütung.

Menschliche Spermien besitzen funktionsfähige Riechrezeptoren und werden durch einen Maiglöckchen-ähnlichen Duft angelockt. Das konnten Bochumer Forscher um Dr. Marc Spehr und Prof. Dr. Dr. Dr. Hanns Hatt (Lehrstuhl für Zellphysiologie, Fakultät für Biologie der RUB) erstmals nachweisen. Sie fanden sogar einen blockierenden Duft, der die Geruchsorientierung der Spermien ausschaltet. Diese Entdeckung eröffnet völlig neue Wege der Empfängnisverhütung. Darüber berichtet das Wissenschaftsmagazin „Science“ in der Ausgabe vom 28. März 2003.

Spermien schwimmen schnell zur Duftquelle

Die genauen zellulären und molekularen Mechanismen, wie menschliche Spermien die Eizelle im Eileiter finden können, sind bis heute noch unbekannt. Ein Team von RUB-Wissenschaftlern konnte zeigen, dass in Spermien ein Riechrezeptor vorkommt, wie man ihn sonst nur in der Nase findet. Das passende Duftmolekül, das riecht wie Maiglöckchen, induziert eine Erhöhung der Schwimmgeschwindigkeit und lockt die Samenzellen zur Duftquelle. Mit einem antagonistisch wirkenden Duftstoff können diese Wirkungen komplett aufgehoben werden. „Unsere Arbeit identifiziert einen grundlegend neuen molekularen Mechanismus für die Wegfindung der Spermien, der die Erfolgsrate bei der künstlichen Befruchtung steigern, aber auch für neue Modelle der Kontrazeption genutzt werden kann“, so Prof. Hatt.

Zufallstreffer der Spermien sind sehr unwahrscheinlich

Die Wege der Samenzellen und des Eis sind im Eileiter entgegengesetzt. Während die Samenzellen Eileiter aufwärts wandern, geht die Eizelle in Richtung Gebärmutter. Spermien und Eizelle treffen einander idealerweise im ersten Abschnitt des Eileiters, der sog. Ampulle. Dies erfordert aber das richtige Timing. Die Spermien benötigen nach dem Einbringen in die Scheide etwa ein bis zwei Stunden, um bis zur Ampulle zu gelangen. Von den 300 Millionen Spermien, die die vaginale Startlinie überqueren, nehmen nur etwa 200-300 erfolgreich die Hürden von Muttermund und Gebärmutter (Zervix und Uterus). Den bis dahin Überlebenden steht dann noch die strapaziöse Reise durch den unendlich langen Eileiter bevor. Dabei stellen sich viele Hindernisse in den Weg. Sind die Zellen dann in der richtigen Umgebung angelangt, ist ihre Spürnase wieder gefragt für die Kurzstreckenführung zur Eizelle hin. Denn nur unter zur Hilfenahme von chemischen Substanzen, die von der Eizelle abgegeben werden, lässt sich ein Zusammentreffen von Spermium und Eizellen in den Weiten des Eileiters erklären. Rein zufällig wäre ein Zusammentreffen sehr unwahrscheinlich. Bereits vor etwa zehn Jahren konnte Prof. Hatt mit einigen Kollegen zeigen, dass sich im Anfangsteil des Spermienschwanzes Ionenkanäle befinden, die man mit ähnlicher Struktur und Funktion auch in Riechzellen nachweisen kann (Nature, 1994). Eine offene Frage war seitdem, wie diese Kanäle aktiviert werden, die für die Richtungssteuerung der Spermien so entscheidend sind wie die Ruder bei einem Schiff.

Spermien mögen Maiglöckchenduft …

Die neuen Funde beweisen: Duftstoffe sind es, die einen Rezeptor in der Spermienmembran aktivieren und dadurch eine biochemische Verstärkungskaskade starten, die Spermien zu einer gezielten Richtungsbewegung veranlasst. Am Lehrstuhl für Zellphysiologie der Ruhr-Universität konnte das Team um Prof. Hatt (insbesondere Dr. Marc Spehr, sowie Dr. Christian Wetzel, Dr. Günter Gisselmann und Dipl.-Biol. Alexandra Poplawski) gemeinsam mit amerikanischen Kollegen (Dr. A. Riffel, Prof. Dr. R. Zimmer) zeigen, dass ein Duftrezeptorprotein, das normalerweise in der Nase zu finden ist, auch in der Membran von Spermien vorkommt. Mit Hilfe von modernen molekularbiologischen Techniken und vor allem bildgebenden Verfahren (Calcium-Imaging) gelang es dieser Forschergruppe sogar, ein genaues molekulares Duftprofil zu erstellen, mit dem dieser Rezeptor stimuliert werden kann. Als am besten wirksame Düfte wurden Bourgeonal und Zyklamal entdeckt, zwei synthetische Substanzen, die typischerweise benutzt werden, um den Duft von Maiglöckchen industriell zu imitieren. Der Rezeptor ist sehr spezifisch für bestimmte funktionale Bereiche des Moleküls, erlaubt aber an anderen Positionen kleine Änderungen ohne wesentlichen Wirkverlust. Ähnlich hohe Spezifität wurden von den Autoren vor zwei Jahren bereits für den einzigen bisher bekannten menschlichen Rezeptor aus dem Riechsystem, den „Helional“-Rezeptor beschrieben. Neben der sog. rekombinanten Expression dieses Rezeptors 17-4 in menschlichen embryonalen Nierenzellen, gelang es den Wissenschaftlern auch, diesen Rezeptor in lebenden menschlichen Spermien über biochemische und bildgebende Verfahren funktional nachzuweisen. Spermien reagieren mit einer Kalziumerhöhung auf exakt das gleiche Duftprofil, das für den rekombinanten exprimierten Rezeptor gezeigt wurde.

… blockierender Duft macht sie orientierungslos und langsam

Darüber hinaus machten die Forscher bei der Suche nach wirksamen Duftsubstanzen eine weitere Aufsehen erregende Entdeckung: Sie fanden einen Riechstoff, der als kompetitiver Blocker (Antagonist) am Rezeptor 17-4 wirkt. In seiner Gegenwart verliert der stimulierende Duft seine Wirksamkeit. Die zentrale Frage war nun, ob und wie diese Duftstoffe das Schwimmverhalten von Spermien beeinflussen. In Verhaltensversuchen an menschlichen Spermien zeigte sich, dass sich die Samenzellen in ihrer Schwimmrichtung exakt auf den Maiglöckchenduft (Bourgeonal) hin orientieren und außerdem ihre Schwimmgeschwindigkeit verdoppeln. In Gegenwart der blockierenden Substanz Undekanal war dieser Effekt nicht zu sehen. Die Spermien schwammen wieder langsam ziellos umehr.

Erfolgreiche künstliche Befruchtung, sichere Verhütung

Mit diesen Ergebnissen ist es erstmals gelungen, eine Gruppe von chemischen Substanzen zu identifizieren, die durch Aktivierung eines in der Spermienmembran eingebauten Rezeptors gezielt Spermienbewegungen steuern können. „Jetzt müssen wir nur noch diese Substanz in der Follikelflüssigkeit oder in der Umgebung menschlicher Eizellen nachweisen, dann ist der erste biologisch aktive Lockstoff für menschliche Spermien gefunden“, spekuliert Professor Hatt. Der Einsatz von Lockstoffen könnte von weitreichender Bedeutung für eine erfolgreiche in vitro Fetilisations-Therapie sein, um kinderlosen Ehepaaren zu ihrem Kinderwunsch zu verhelfen. Aber es besteht auch die Hoffnung, durch Verwendung des blockierenden Duftes Ansätze für eine neue, Frauen nicht belastende, völlig hormonfreie, empfängnisverhütende Therapie zu entwickeln. „Man kann den Spermien sozusagen die Nase zu halten und sie dadurch am Auffinden der Eizelle hindern“, meint Prof. Hatt.

Die Suche nach Rezeptoren geht weiter

Jetzt sind die Bochumer Forscher noch weiteren Riechrezeptoren in Spermien auf der Spur (vermutlich gibt es etwa zehn davon) und dabei zu klären, ob verschiedene Düfte mit unterschiedlichen Wirkungen den Spermien helfen, den beschwerlichen Weg vom Uterus bis zur Eizelle zu finden.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Dr. Dr. Hanns Hatt
Dr. Marc Spehr
Lehrstuhl für Zellphysiologie
Fakultät für Biologie der Ruhr-Universität Bochum
44780 Bochum
Tel. 0234 – 32-24586
E-Mail: hanns.hatt@ruhr-uni-bochum.de
marc.spehr@ruhr-uni-bochum.de

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