Magenbakterien rekonstruieren vorgeschichtliche Völkerwanderung

Genetische Methoden klären weltweite Populationsstruktur auf

Mit dem Magenbakterium Helicobacter pylori kann offenbar die vorgeschichtliche Völkerwanderung rekonstruiert werden. Forscher um Mark Achtman vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie und Sebastian Suerbaum vom Institut für Hygiene und Mikrobiologie der Uni Würzburg haben in 27 Menschengruppen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit und geografischer Herkunft den bakteriellen Krankheitserreger Helicobacter pylori untersucht und mit genetischen Methoden seine weltweite Populationsstruktur aufgeklärt.

Infolge der Jahrtausende langen geographischen Isolation der menschlichen „Wirtsorganismen“ sind insgesamt sieben H. pylori-Populationen entstanden, die die Menschen seither bei ihren Wanderungen begleitet haben. Die Unterschiede zwischen den ursprünglichen, aus Afrika, dem Nahen Ostern, Zentralasien und Ostasien kommenden, und den heute vorhandenen H. pylori-Populationen spiegeln die Ausbreitung der verschiedenen menschlichen Bevölkerungsgruppen auf der Erde wider, berichten die Forscher in der Fachzeitschrift Science.

In Kooperation mit sechs Universitäten in den USA und in Frankreich bestimmten sie Nukleotid-Sequenz repräsentativer Gene für 370 H.pylori-Stämme aus 27 ethnischen Gruppen und geographischen Lokalisationen und erhielten auf diese Weise 370 H.pylori-Haplotypen mit 1.418 polymorphen Nukleotiden. Die populationsgenetische Analyse der Sequenzdiversität zeigte, dass sich die Bakterien sieben „modernen“, also heute existierenden Populationen und Subpopulationen zuordnen lassen. Die Wissenschaftler entwickelten deshalb eine neue mathematische Methode, um aus den modernen Populationen deren frühere Vorfahren zu rekonstruieren. Die auf diese Weise gefundenen ursprünglichen H. pylori-Populationen hatten ihren Ursprung in Afrika, dem Nahen Osten, Zentralasien und Ostasien. Durch Vergleich zwischen diesen ursprünglichen und den heutigen Populationen konnte rekonstruiert werden, wie H. pylori sich über die Wanderungen von menschlichen Bevölkerungsgruppen auf der Erde verbreitet hat.

H.pylori zeichnet sich durch eine sehr hohe genetische Diversität aus, die etwa fünfzig Mal höher ist als beim Menschen. Treffen verschiedene H. pylori-Stämme im Magen eines Menschen aufeinander, können sie Erbinformationen untereinander austauschen, indem lebende Bakterien freie DNA von abgestorbenen Bakterien aufnehmen, was dann zur Entstehung von Mosaikgenomen mit importierten kleinen DNA-Bereichen führt. So sind die heute in Europa nachweisbaren H. pylori-Bakterien das Ergebnis einer genetischen Fusion, entstanden durch Rekombination von zwei alten H. pylori-Populationen, die unabhängig voneinander aus Zentralasien und aus dem Nahen Osten nach Europa eingewandert sind. Andere H. pylori-Populationen entwickelten sich während der mehrere tausend Jahre langen Isolation der Polynesier im Pazifik, der Wanderung der sibirischen Vorfahren der Indianer über die Beringstraße nach Amerika oder der Expansion der Bantu in Afrika.

Helicobacter pylori besiedelt die Magenschleimhaut bei mehr als der Hälfte der Weltbevölkerung. Die Forschungsergebnisse könnten daher wichtige Auswirkungen auf die Behandlung von H. pylori-Infektionen haben, da genetische Unterschiede zwischen verschiedenen bakteriellen Populationen auch eine unterschiedliche Virulenz der Bakterien zur Folge haben können.

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Sandra Standhartinger pressetext.deutschland

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