Die Entschärfung der Senföl-Bombe

Jenaer Max-Planck-Forscher klären, wie die Kohlmotte die chemische Abwehr ihrer Wirtspflanzen überwindet

Pflanzen besitzen sehr wirksame Verteidigungsmechanismen gegen eine Vielzahl von Insekten, Krankheitserregern und anderen Schädlingen. Wenn Schädlinge diese Pflanzen dennoch als Nahrungsquelle nutzen wollen, müssen sie deren Abwehr überwinden. Eine besonders raffinierte Abwehrwaffe ist hierbei die so genannte „Senföl-Bombe“ der Kreuzblüten-Gewächse: Beschädigt ein Insekt deren Pflanzengewebe, werden giftige Stoffwechselprodukte freigesetzt. Bei der Kohlmotte Plutella xylostella, die weltweit große Schäden an Nutzpflanzen wie Kohl, Raps oder Senf anrichtet, haben Wissenschaftler der Abteilung Genetik und Evolution des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena jetzt ein Enzym entdeckt, mit dem diese Raupen die ausgeklügelte chemische Abwehr ihrer Wirtspflanzen umgehen (PNAS Online, 10.1073/pnas.172112899, 2. August 2002): Eine so genannte Sulfatase „entschärft“ die „Senföl-Bombe“ der Pflanzen, so dass bei ihrem „Fress-Angriff“ die giftigen Abbauprodukte gar nicht erst entstehen können.

Pflanzen sind einer Vielzahl von Schädlingen ausgesetzt, ihnen aber nicht wehrlos ausgeliefert. Im Gegensatz zu vielen Tieren, die vor ihren Feinden einfach davonlaufen können, benutzen Pflanzen zu ihrer Verteidigung neben mechanischen Barrieren – wie rutschigen Wachsen oder stachligen Dornen – auch abschreckende und giftige Substanzen. Pflanzen sind geradezu Spezialisten in der chemischen Kriegsführung. Zu den besonders „schlagkräftigen“ Erfindungen auf diesem Gebiet gehört das Glucosinolat-Myrosinase-System der Kreuzblütler. Glucosinolate, auch bekannt unter dem Namen Senföl-Glycoside, sind Pflanzenstoffe, die als solche keine giftige Wirkung auf Schädlinge haben. Insgesamt sind heute etwa 120 verschiedene Glucosinolate bekannt, die im Prinzip die gleiche chemische Grundstruktur besitzen und sich vor allem durch ihre Seitenketten unterscheiden. Myrosinasen wiederum sind pflanzliche Enzyme, die Glucosereste von Glucosinolaten abspalten können. Dabei entsteht eine Reihe toxischer Substanzen.

In intaktem Pflanzengewebe werden Myrosinasen getrennt von Glucosinolaten aufbewahrt, so dass sie ihre Wirkung nicht entfalten können. Beginnen jedoch Schädlinge an der Pflanze zu fressen, erhalten die Myrosinasen Zugang zu den Glucosinolaten: Glucose wird von den Glucosinolaten abgespalten, und ein instabiles Zwischenprodukt entsteht, das spontan in eine Reihe von Abbauprodukten mit giftiger Wirkung zerfällt (s. Abb. 1, links) – die „Senföl-Bombe“ explodiert!

Abb. 1: Die Entschärfung der Senföl-Bombe durch die Kohlmotte (Plutella xylostella). In Kreuzblütlern kommen das pflanzliche Enzym (Myrosinase) und Glucosinolate (Senföl-Glykoside) erst bei einer Schädigung des Gewebes, z.B. durch Insektenfrass, zusammen. Die Myrosinase spaltet den Glucoserest von den Glucosinolaten ab, und diese zerfallen in toxische Abbauprodukte (links). Die Larven des Kreuzblütlerspezialisten Plutella xylostella besitzen jedoch ein besonderes Enzym, eine so genannte Glucosinolat-Sulfatase (GSS), mit der sie die pflanzlichen Glucosinolate so schnell modifizieren können, dass keine toxischen Abbauprodukte mehr entstehen können (rechts). Die pflanzliche Abwehr läuft somit ins Leere. “
„Grafik: Max-Planck-Institut für chemische Ökologie“

In Laborversuchen konnte gezeigt werden, dass die Abbauprodukte der „Senföl-Bombe“ für eine Vielzahl von Schädlingen giftig sind. Dies gilt auch für ein auf Kreuzblütler spezialisiertes Insekt, die Kohlmotte Plutella xylostella (Abb. 2). Dennoch richten die Raupen der Kohlmotte weltweit großen Schaden an wichtigen Kulturpflanzen aus der Familie der Kreuzblütler, wie Blumenkohl, Broccoli, Senf oder Raps an. Diesen Widerspruch haben die Wissenschaftler der Abteilung Genetik und Evolution vom Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena versucht aufzulösen: Was ermöglicht es der Kohlmotte, das Verteidigungssystem der Kreuzblütler, die „Senföl-Bombe“, zu umgehen und sie als ihre Wirtspflanzen zu nutzen?

Abb. 2: Larve und Motte von Plutella xylostella (Kohlmotte) auf Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand).
„Foto: Max-Planck-Institut für chemische Ökologie“

Den Schlüssel zur Erklärung dieser paradoxen Situation entdeckten die Wissenschaftler in der Hinterlassenschaft der Raupen, in ihrem Kot. Darin fanden sie modifizierte Glucosinolate, denen die in der Grundstruktur ansonsten übliche Sulfatgruppe fehlte. Diese so genannten Desulfo-Glucosinolate reagieren mit Myrosinase nicht mehr; folglich entstehen keine giftigen Abbauprodukte, die „Senföl-Bombe“ ist quasi entschärft. Tatsächlich gelang es den Forschern, im Darm der Raupen ein entsprechendes Enzym, eine Glucosinolat-Sulfatase (GSS), nachzuweisen, die sehr effektiv die Sulfatgruppe von Glucosinolaten abspaltet (Abb. 1, rechts). Auch das dem Enzym zugrunde liegende Gen wurde identifiziert und isoliert – es ist nur in den Raupen und konkret in deren Darm aktiv. Nicht abgelesen wird das Gen im Ei, in der Puppe und im voll entwickelten Insekt, (Abb. 3).

Abb. 3: Entwicklungs- und gewebsspezifische Transkriptionsmuster der Plutella xylostella Sulfatase (GSS), ermittelt mit „reverser Transcriptase PCR“ (RT-PCR). A) GSS (untere Banden) wird während der Insektenentwicklung nur in Larvenstadien exprimiert (2-4), nicht aber in Eiern (1), Puppen (6+7) sowie Motten (8). B) In Larven ist die Expression auf den Darm beschränkt (4-9). Im Kopf (1), im Restkörper (2), den Spinndrüsen (3) und den Malpighischen Gefässen (10) sind GSS-Transkripte nicht nachweisbar. Als Kontrolle diente ein sogenanntes „housekeeping gene“ (GAPDH, jeweils obere Banden).“
„Foto: Max-Planck-Institut für chemische Ökologie „

Diese entwicklungs- und gewebsspezifische Regulation der Genexpression stellt sicher, dass die Glucosinolat-Sulfatase genau in dem Entwicklungsstadium und an dem Ort zur Verfügung steht, an dem sie gebraucht wird: im Darm der Raupen. Denn nur die Raupen fressen an Kreuzblütlern. Dabei ist die Enzymaktivität im Darm extrem hoch. Berechnungen haben ergeben, dass sie ausreichen würde, 100mal mehr Glucosinolate umzusetzen als typischerweise in den Blättern von Arabidopsis thaliana, der Ackerschmalwand, und anderen Kreuzblütlern vorkommen. Die Raupen der Kohlmotte sind also bestens vor der „Senföl-Bombe“ geschützt.

Dr. Heiko Vogel, einer der Autoren der in PNAS veröffentlichten Studie, sagt dazu: „Den Schädlingen genügt also ein einziges Enzym, um ein sehr trickreich angelegtes pflanzliches Verteidigungssystem auszuschalten. Doch gerade deshalb bieten sich jetzt Möglichkeiten, den gefürchteten Kohlmotten wirklich auf den Leib zu rücken. Gelänge es, die Bildung dieses Enzyms im Magen der Kohlmotte zu blockieren, könnte die Senföl-Bombe der Kreuzblütler doch noch wirksam werden.“

Originalveröffentlichung:

Andreas Ratzka, Heiko Vogel, Daniel J. Kliebenstein, Thomas Mitchell-Olds, and Juergen Kroymann: Disarming the mustard oil bomb, PNAS published August 2, 2002, 10.1073/pnas.172112899 (Ecology)

Weitere Informationen erhalten Sie von:
Dr. Heiko Vogel
Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie, Jena
Abteilung für Genetik & Evolution
Tel.: 0 36 41 – 57 – 14 13
Fax: 0 36 41 – 57 – 14 02
E-Mail: hvogel@ice.mpg.de

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