Neuronen bei Querschnittlähmung regenerieren lassen

Dr. Florence Bareyre vom Institut für Klinische Neuroimmunologie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München ist eine von fünf herausragenden Neurowissenschaftlerinnen, denen durch Mittel des Bundesministeriums für Bildung und Forschung die Einrichtung einer eigenen Forschungsgruppe ermöglicht wird.

Diese Förderung soll die Karrierechancen von Frauen in den Neurowissenschaften verbessern und den Forscherinnen eine tragfähige Karriereperspektive schaffen, indem sie sich unter anderem für die Übernahme einer Professur qualifizieren und sich dauerhaft im Wissenschaftssystem etablieren. Bareyre, die rund eine Million Euro Förderung über fünf Jahre erhält, wird sich in ihrer Forschung der Verbesserung der Rückenmarksfunktion bei Querschnittlähmung widmen.

„Es geht dabei um die Grundlagen der neuronalen Prozesse, die nach einer schweren Verletzung des Rückenmarks das Wiedererlangen der verlorenen Funktionen ermöglichen können“, sagt Bareyre. „Ich werde an neuen Strategien arbeiten, mit denen wir die Reorganisation der zerstörten Nervenzellverbindungen nach einem solchen Trauma verbessern können.“

Junge Erwachsene sind es in erster Linie, die bei der Arbeit oder bei Verkehrsunfällen schwere Rückenmarksverletzungen davontragen: Alleine in Deutschland kommen jedes Jahr rund 3000 neue Fälle dazu. Derartige Verletzungen des Rückenmarks sind oft mit einem Verlust an motorischen und sensorischen Funktionen unterhalb der Verletzungsebene verbunden. Während diese Defizite bei einer kompletten Durchtrennung irreversibel sind und lebenslang bestehen, kommt es bei partiellen Läsionen vielfach zu einer spontanen funktionellen Erholung.

„In vorangegangenen Arbeiten konnten wir zeigen, dass die Ausbildung neuer axonaler Umgehungswege zumindest nach einer experimentellen Verletzung des Rückenmarks für diese Erholung von entscheidender Bedeutung ist“, berichtet Bareyre. „Wir konnten zudem neue molekularbiologische Techniken zur Darstellung dieser Umgehungswege etablieren. Das spontane Wachstum dieser Axone genügt aber nicht, um funktionelle Defizite zu beheben. Die regenerierenden Nervenzellen müssen vielmehr in ein Netzwerk im Rückenmark integriert werden.“

Für diese Ergebnisse erhielt die Biologin letztes Jahr bereits den mit 10.000 Euro dotierten Sobek-Nachwuchspreis, der richtungsweisende wissenschaftliche Leistungen zur Multiplen Sklerose auszeichnet. Auch bei dieser Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems kommt es vielfach zu Unterbrechung von Nervenfasern im Rückenmark. Längerfristig könnten also auch MS-Patienten von Bareyres Arbeiten profitieren.

Bevor daraus aber Therapien entstehen, müssen erst noch einige grundlegende Fragen geklärt werden. So weiß man nicht, wie erneut wachsende Ausläufer von Nervenzellen den korrekten Weg zu ihren Zielpunkten finden. Ebenfalls unbekannt ist, wie diese regenerierenden Axone Verbindungen, so genannte Synapsen, schaffen, von denen letztlich die neuronale Signalübertragung entscheidend abhängt. „Wir wollen auch untersuchen, welche therapeutischen Strategien die Axone bei der Suche nach dem richtigen Weg und der Synapsenbildung unterstützen können“, meint Bareyre.

„Auch wenn es darauf noch keine Antworten gibt, können wir uns auf wertvolle Vorarbeiten stützen. So wurden ähnliche Vorgänge bereits im Detail im sich entwickelnden Nervensystem untersucht und dabei wichtige molekulare Mechanismen identifziert“ Bislang konnten diese Erkenntnisse aber nur zum Teil auf Rückenmarksverletzungen übertragen werden. Das lag unter anderem daran, dass es keine geeigneten Mittel gab, die Axone bei der Orientierung und bei der Synapsenbildung nach einem Trauma zu beobachten.

„Deshalb wurden in den letzten Jahren neuartige Ansätze entwickelt, die uns jetzt erlauben, eben diese Prozesse direkt im lebenden Organismus zu beobachten“, sagt Bareyre. „Besonders wichtig ist, dass wir damit auch therapeutische Effekte auf die Reparatur der Axone analysieren können.“ Im jetzt geplanten Projekt sollen dank der neu entwickelten Methoden Moleküle identifiziert werden, die nachwachsenden Axonen Orientierung geben oder zur Synapsenbildung beitragen.

Letztlich geht es um die Entwicklung von Strategien, die diese Vorgänge unterstützen. Auch hier gibt es Vorarbeiten: So existieren bereits wachstumsfördernde Therapien, die aber nur ein ungerichtetes Sprießen der Axone bewirken – die Verbindung mit den jeweiligen Zielstrukturen funktioniert noch nicht. „Im günstigsten Fall würden neu entwickelte Therapienstrategien in Kombination mit bereits bestehenden Ansätzen die gezielte Reparatur durchtrennter Nervenzellverbindungen fördern und damit die funktionale Erholung von Querschnittsgelähmten in Deutschland und weltweit verbessern“, so Bareyre.

Über fünf Jahre steht der gebürtigen Französin nun rund eine Million Euro zur Verfügung, um eine eigenständige Forschergruppe aufzubauen. Dafür wurde sie mit den vier anderen geförderten Neurowissenschaftlerinnen aus über 70 Bewerbungen von einem internationalen Gutachtergremium ausgewählt. Das Förderprogramm wurde eingerichtet, um talentierte Frauen zu motivieren und zu unterstützen. Durch die Leitung einer selbständigen Forschungsgruppe sollen die Forscherinnen ihre wissenschaftliche Expertise ausbauen und sich an einer deutschen Forschungseinrichtung international profilieren. Auch Bareyre kennt die Schwierigkeiten von Frauen in der Wissenschaft – vor allem wenn die Forschungsarbeit mit familiären Verpflichtungen koordiniert werden muss. „Ich habe selbst zwei kleine Kinder“, berichtet die Biochemikerin. „Obwohl sie in Vollzeit in einer deutsch-französischen Kinderkrippe betreut sind und ich von meinem Mann unterstützt werde, ist ein hohes Maß an Organisation gefragt: Wir haben ein komplett mit Kindern und Wissenschaft ausgefülltes Tages- und Wochenprogramm. Die gezielte Förderung durch das BMBF Programm unterstützt mich damit entscheidend in einer kritischen Phase meiner Karriere.“

Ansprechpartner:
Dr. Florence Bareyre
Institut für Klinische Neuroimmunologie
Klinikum der Universität München
Tel.: 089 / 2180 – 78279
Fax: 089 / 2180 – 78285
E-Mail: Florence.Bareyre@med.uni-muenchen.de

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Luise Dirscherl idw

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