Trennung von Nervenfasern wichtig für Muskelsteuerung

Gehen, Schwimmen oder Klavierspielen – jede Art von Bewegungsablauf ist nur möglich, wenn die Muskeln die richtigen Impulse ('motorische' Befehle) bekommen. Hoch spezialisierte Nervenbahnen steuern die Bewegung, indem sie die Muskulatur direkt mit dem Nervensystem verbinden.

Damit eine Bewegung wie „Laufen“ koordiniert gesteuert ablaufen kann, müssen motorische „Befehle“ und sensorische „Eindrücke“ (Rückmeldung, in welchem Zustand der Muskel sich befindet) innerhalb der Nervenbahnen streng getrennt erfolgen. Die Göttinger DFG Emmy Noether Forschergruppe um Dr. Till Marquardt, Leiter der Forschungsgruppe Entwicklungsneurobiologie am European Neuroscience Institute (ENI-G) Göttingen hat jetzt herausgefunden, wie es zu der getrennten Ausbildung von motorischen und sensorischen Nervenfasern kommt. Die Arbeiten erfolgten in Zusammenarbeit mit den Arbeitsgruppen von Prof. Sam Pfaff und Prof. Greg Lemke am Salk Institute, San Diego (USA). Die Ergebnisse wurden am 11. April 2008 in der Print-Ausgabe des renommierten Wissenschaftsmagazins „Science“ veröffentlicht.

Originalveröffentlichung: Gallarda, B., Bonanomi, D., Müller, D., Brown, A., Alaynick, W.A., Lemke, G., Pfaff, S.L. and Marquardt, T. Segregation of axial sensory and motor pathways through heterotypic trans-axonal signaling. Science 321 (April 11) 2008.

Die neuen Kenntnisse aus der Grundlagenforschung über die Signalmechanismen zwischen motorischen und sensorischen Nervenfasern könnten für die Entwicklung von Therapien bei Verletzungen von Nervenbahnen von Bedeutung sein. So genannte „Motorfasern“ leiten die Nervenimpulse an die Muskulatur. „Sensorische Fasern“ sind dafür zuständig, Sinnesinformationen wie Schmerz oder Temperatur von Muskulatur, Bindegewebe und Haut an das zentrale Nervensystem zu leiten. Wie wichtig dieses ausgeklügeltes Zusammenspiel ist, zeigt sich, wenn eine Verletzung die Nervenbahnen vermischt. Die Folgen sind chronische Schmerzen und auch die Fähigkeit sich zu bewegen ist schwer eingeschränkt.

Motorische und sensorische Fasern wachsen während der Embryonalentwicklung zunächst gemeinsam aus. Wie kommt es dann zur Trennung der verschiedenen Nervenfasertypen und der so wichtigen Spezialisierung? „Wir haben zunächst das Wachstum von Nerven in der Kulturschale untersucht“, sagt Dr. Till Marquardt. Ein neu entwickeltes Verfahren ermöglichte es den Forschern, motorische und sensorische Fasern voneinander zu unterscheiden und ihr Wachstum unter dem Mikroskop zu verfolgen. Dabei konnten die Forscher beobachten, wie sich die isolierten Nervenfasern spontan in streng getrennte Nervenbahnen verschiedener Typen aufteilten. Dieses Verhalten hatten sie vorher genau so in Versuchstieren beobachtet.

„Die Trennung in sensorische und in motorische Fasertypen beruht auf einer gegenseitigen Abstoßung“, sagt Till Marquardt. Vermittelt wird die gegenseitige Abstoßung durch das Zusammenspiel zweier Eiweißmoleküle, die jeweils auf der Oberfläche der motorischen und sensorischen Fasern liegen. Das Eiweißmolekül auf den sensorischen Fasern (ephrin-A) funktioniert dabei als Abstoßungs-Signal. Es wirkt wiederum direkt auf spezifische Eiweißmoleküle (EphA-Rezeptoren) auf den motorischen Fasern.

Der Gegentest brachte den Forschern weitere Erkenntnisse: Das gezielte Entfernen der EphA-Rezeptoren führte zu einem 'Kurzschluss' im Nervenschaltkreis: Motorfa-sern wuchsen nicht wie normalerweise zur Muskulatur. Stattdessen wuchsen sie in die sensorischen Bahnen und sendeten ihre Nervenimpulse somit an die falsche Stelle. „Die aktive gegenseitige Abstoßung von motorischen und sensorischen Nervenfasern während ihres Wachstums zur Muskulatur ist also von essenzieller Bedeutung für den Aufbau der Nervenschaltkreise, die Bewegungsabläufe steuern“, sagt Till Marquardt.

ENI Arbeitsgruppe Entwicklungsneurobiologie. Koordinierte Bewegungen erfordern die präzise Verschaltung von Motoneuronen und sensorischen Neuronen mit der Skelettmuskulatur. Ziel der Forschungsgruppe ist es, zu verstehen, wie die Verbindungen zwischen motorischen und sensorischen Neuronen im Verlauf der Embryonalentwicklung ausgebildet und schließlich zu funktionsfähigen Schaltkreisen verknüpft werden. Die Arbeiten der Forschergruppe werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Emmy Noether Programms gefördert.

Das European Neurosciences Institute Göttingen (ENI-G) besteht seit Juni 2003 und beherbergt derzeit sechs Forschungsgruppen. Sie werden durch die Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität, und die Max-Planck-Gesellschaft gefördert. Ziel ist die Förderung talentierter Nachwuchswissenchaftler auf ihrem Weg zu eigenständiger Forschung.

WEITERE INFORMATIONEN:
European Neuroscience Institute Göttingen (ENI-G), Grisebachstr. 5, 37077 Göttingen
Dr. Till Marquardt, Leiter der Arbeitsgruppe Entwicklungsneurobiologie,
Telefon: 0551 39-13400, tmarqua@gwdg.de,

Media Contact

Stefan Weller idw

Weitere Informationen:

http://wwwuser.gwdg.de/~tmarqua/

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