Zelluläre Bauprinzipien nachempfunden

Die Rolle, die Organe im Körper spielen, wird in Zellen von Organellen übernommen – gegeneinander abgetrennten Kompartimenten, die vielfältige Aufgaben erfüllen. Solche funktionalen, nanostrukturierten Systeme wären auch interessant für technische Zwecke, etwa als Biosensoren, selbstheilende Materialien, optoelektronische Bauteile oder Nanokapseln.

Im Labor lässt sich das bisher aber nicht in ausreichender Komplexität nachahmen. Niederländische Wissenschaftler um Jan van Esch von den Universitäten Delft und Groningen sowie von der BioMaDe Technology Foundation verfolgen nun einen neuen Ansatz: Wie sie in der Zeitschrift Angewandte Chemie berichten, lassen sie Tenside und Gelatoren Aggregate bilden. Diese Aggregate koexistieren, ohne sich gegenseitig zu stören, und machen so vielfältige, sehr komplexe Strukturen aus einzelnen Kompartimenten zugänglich.

Zellen enthalten vielfältige Bauteile, wie Kanäle, „Motoren“, strukturgebende Gerüste (Cytoskelett) und „Kraftwerke“ (Mitochondrien). Damit diese sich bilden, müssen sich ihre Bestandteile, vor allem Proteine und Lipide, „erkennen“ und per Selbstaggregation richtig zusammenlagern. Zudem ist es notwendig, dass sich nicht kompatible Komponenten in verschiedene Phasen trennen: Bei der Proteinfaltung etwa halten sich wasserfreundliche (hydrophile) und wasserabweisende (hydrophobe) Molekülteile voneinander fern und lagern sich bevorzugt mit „Gleichgesinnten“ zusammen. Biomembranen entstehen, wenn viele kleine Lipid-Moleküle so aggregieren, dass ihre hydrophoben „Schwänze“ zueinander und, die hydrophilen „Köpfe“ nach außen in Richtung des wässrigen Mediums zeigen.

Diese Prinzipien ahmte das niederländische Team mit Hilfe zweier selbstaggregierender Verbindungsklassen nach: Tenside und Gelatoren. Tenside bestehen wie die Lipide natürlicher Membranen aus einem hydrophilen und einem hydrophoben Segment und aggregieren wie diese, z. B. zu membranartigen Doppelschichten oder zu Vesikeln (Bläschen). Um die bei der Proteinfaltung wirkenden Kräfte – Wasserstoffbrückenbindungen und hydrophobe Wechselwirkungen – nachzuahmen, wählte das Team einen scheibchenförmigen Gelator, bei dem sich hydrophobe und hydrophile Molekülteile in konzentrischen Ringen abwechseln. Wie bei den Proteinen gilt: Gleich und gleich gesellt sich gern. Das bringt die Scheibchen dazu, sich säulenartig aufeinander zu stapeln. So entstehen lange Fasern, die die Flüssigkeit als dreidimensionales Netzwerk durchziehen und in Form eines Gels binden.

Die Forscher lassen ihre Tenside und Gelatoren gemeinsam aggregieren. Dabei nehmen die Komponenten voneinander keinerlei Notiz. Diese unabhängige Bildung verschiedener supramolekularer Strukturen innerhalb eines einzigen Systems nennt man orthogonale Selbstaggregation. Dabei entstehen neuartige, komplex kompartimentierte Architekturen, z.B. einander durchdringende, aber voneinander unabhängige Netzwerke oder auch Vesikel-Konfigurationen, die mit Gel-Fasern koexistieren.

Angewandte Chemie: Presseinfo 09/2008

Autor: Jan van Esch, University of Delft (The Netherlands), http://www.tudelft.nl/live/pagina.jsp?id=32e323ab-be78-43e4-96db-e6452fc418e5&lang=en

Angewandte Chemie 2008, 120, No. 11, 2093-2096, doi: 10.1002/ange.200704609

Angewandte Chemie, Postfach 101161, 69495 Weinheim, Germany

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