Bakterien mit sozialer Ader – Kooperation mathematisch auf die Spur kommen

Doch eine soziale Ader lässt sich selbst bei Mikroben finden. So kooperieren etwa manche Bakterien, indem sie Stoffe produzieren, die der gesamten Kolonie zugute kommen – während sich die Kooperatoren selbst langsamer vermehren als ihre „unsozialen“ Artgenossen. Der LMU-Physiker Professor Erwin Frey hat nun mit seinen Mitarbeitern Dr. Jonas Cremer und Dr. Anna Melbinger mithilfe mathematischer Modelle die zugrunde liegenden Mechanismen ergründet.

„Kooperation kann durch die Tatsache erklärt werden, dass bakterielle Kolonien stark wachsen und sich immer wieder neu bilden,“ sagt Frey. „Wir haben nun erstmals gezeigt, dass ein einziges kooperatives Bakterium in einer ganzen Population Kooperation etablieren kann.“ Die Studie wurde im Rahmen des Exzellenzclusters „Nanosystems Initiative Munich“ (NIM) durchgeführt. (Scientific Reports online, 21. Februar 2012)

Bestimmte Bakterien können einen Stoff produzieren, der die gesamte Kolonie gegen manche Antibiotika resistent macht. Während sich die Kolonie dann schnell vergrößern kann, vermehren sich die kooperierenden Mikroben langsamer. „Wenn sie aussterben, ist das für die Gesamtpopulation schlecht“, sagt Co-Autorin Anna Melbinger. „Der Nachteil eines Kooperators kann aber durch den evolutionären Vorteil der Kolonie kompensiert werden.“

Auf welchen Mechanismen dieses Gleichgewicht beruht, konnte bislang nicht im Detail geklärt werden. Freys Arbeitsgruppe konstruierte ein mathematisches Modell, um das Wachstum von Bakterien in mehreren Kolonien zu simulieren. Die Mikroben bilden kleine Kolonien, die abhängig vom Anteil an Kooperatoren wachsen. Aus dieser Population können sich neue Kolonien bilden – und der Zyklus beginnt erneut.
Die Analyse des Models deckte nun zwei Mechanismen auf, die Kooperation ermöglichen. So können sich durch Zufall rein kooperative Kolonien bilden, in denen Kooperatoren ihre Vorteile ausspielen, ohne von nicht kooperierenden Bakterien „ausgenutzt“ zu werden. „Gibt es einen hinreichend großen Anteil an Kooperatoren in der Population, können alle nicht kooperierenden Bakterien sogar aussterben“, so Cremer.

Im zweiten Szenario dagegen vermehren sich Kolonien mit einem großen Anteil an Kooperatoren schneller als solche mit wenig „sozial gesinnten“ Individuen. Dieser Mechanismus kann sogar greifen, wenn anfänglich nur wenige Kooperatoren vorhanden sind. Dann aber kann sich möglicherweise eine einzelne, zufällig entstandene kooperative Mutante durchsetzen.
Insgesamt wurde deutlich, dass sich Kooperation stabil in Populationen halten kann, wenn sich Kolonien immer wieder neu bilden und wachsen können. „Wie wir jetzt erstmals mit Hilfe eines mathematischen Modells erklären können, erhalten einzelne Mikroben, die aufgrund zufälliger genetischer Veränderungen zu Kooperatoren geworden sind, auf diesem Weg die Chance, in der gesamten Population kooperatives Verhalten dauerhaft zu etablieren“, sagt Frey. (CR/suwe)

Publikation:
„Growth dynamics and the evolution of cooperation in microbial populations“
Jonas Cremer, Anna Melbinger & Erwin Frey,
Scientific Reports online, 2, 281 (21. Februar 2012).
doi: 10.1038/srep00281

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Erwin Frey
Institut für statistische und biologische Physik
Tel.: 089 / 2180 – 4538
E-Mail: frey@lmu.de
Web: http://www.theorie.physik.uni-muenchen.de/lsfrey/group_frey/index.html

Media Contact

Luise Dirscherl idw

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neue universelle lichtbasierte Technik zur Kontrolle der Talpolarisation

Ein internationales Forscherteam berichtet in Nature über eine neue Methode, mit der zum ersten Mal die Talpolarisation in zentrosymmetrischen Bulk-Materialien auf eine nicht materialspezifische Weise erreicht wird. Diese „universelle Technik“…

Tumorzellen hebeln das Immunsystem früh aus

Neu entdeckter Mechanismus könnte Krebs-Immuntherapien deutlich verbessern. Tumore verhindern aktiv, dass sich Immunantworten durch sogenannte zytotoxische T-Zellen bilden, die den Krebs bekämpfen könnten. Wie das genau geschieht, beschreiben jetzt erstmals…

Immunzellen in den Startlöchern: „Allzeit bereit“ ist harte Arbeit

Wenn Krankheitserreger in den Körper eindringen, muss das Immunsystem sofort reagieren und eine Infektion verhindern oder eindämmen. Doch wie halten sich unsere Abwehrzellen bereit, wenn kein Angreifer in Sicht ist?…

Partner & Förderer