Eine Amöbe wird zur Alge

Wissenschaftlern des Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin, des Fritz Lipmann Institut in Jena und des Biozentrums der Universität zu Köln ist es gelungen nachzuweisen, dass die Entstehung photosynthetischer Organellen durch Aufnahme und Umwandlung eines Bakteriums kein einmaliges Evolutionsereignis war.

Durch Photosynthese wird Lichtenergie in chemisch gebundener Form für alle Lebewesen der Erde nutzbar gemacht, wobei Sauerstoff entsteht. Nachdem einfache Bakterien (Cyanobakterien) diesen Prozess entwickelt und perfektioniert hatten, verleibten sich kernhaltige Zellen (Eukaryoten) diese Bakterien als Symbionten ein , wandelten sie im Laufe der Evolution zu Organellen (Chloroplasten) um und übernahmen so die Photosynthese der Cyanobakterien. Während dieses als primäre Endosymbiose bezeichneten Prozesses wurden von den ursprünglich mehreren Tausend Genen des Cyanobakteriums viele ausgeschaltet, andere wurden in den Zellkern des Wirtes verlagert. Letztere erfüllen eine wichtige Aufgabe in der Zelle: Sie regulieren die Funktion des Chloroplasten. So besitzt ein Chloroplast heute nur noch ca. 100 Gene, aber etwa 1000 Gene des Zellkerns stellen Proteine für die Aufrechterhaltung der Photosynthese zur Verfügung.

Bislang nahm man an, dass alle heutigen Algen und Pflanzen ihre Chloroplasten durch eine einzige primäre Endosymbiose eines Cyanobakteriums erhielten. Vor zwei Jahren konnten Glöckner, Melkonian und Nowack (Jena und Köln) jedoch zeigen, dass eine Amöbe, Paulinella chromatophora, durch eine unabhängige Endosymbiose ein Cyanobakterium aufnahm und photosynthetisch wurde. Sie sequenzierten die DNA des Chromatophoren, des ehemaligen Cyanobakteriums der Amöbe. Im Gegensatz zu der Endosymbiose, die zu unseren heutigen Pflanzen führte, liegt diese wahrscheinlich nur etwa 40-60 Millionen Jahre zurück, wobei der Chromatophor noch nicht so viele Gene verloren hat wie ein Chloroplast, der dafür mehr als eine Milliarde Jahre Zeit hatte.

Inzwischen gibt es Hinweise darauf, dass einige Gene des Chromatophoren in den Zellkern der Amöbe überführt wurden. Die Arbeitsgruppen von Glöckner und Melkonian interessierte nun, wie oft dies geschehen ist, und ob die Produkte dieser Gene möglicherweise in die Regulation des Stoffwechsels der Chromatophoren eingreifen. Nur wenn eine direkte Wechselwirkung zwischen Zellkern und Chromatophor besteht, kann man auch den Chromatophoren als echtes Organell auffassen.

Um diese Frage zu klären, wurde das sogenannte Transkriptom von P. chromatophora untersucht. Dazu mussten alle in einem bestimmten Zellzustand abgelesenen Gene detektiert werden. Das wurde durch Einsatz einer neuen Generation von DNA-Sequenzierautomaten (Next Generation Sequencing, NGS) erreicht. Um eine mögliche Regulation untersuchen zu können, wurden zwei verschiedene Zellzustände untersucht: im Dunkeln gehaltene Amöben, und Amöben, die gerade einen neuen Tag beginnen sahen, also Photosynthese aufnehmen konnten.

Zwei wichtige Erkenntnisse konnten die Autoren gewinnen. Immerhin bis zu hundert Gene wanderten vom Chromatophoren zum Zellkern und blieben dort aktiv. Gleichzeitig wurden sie so umgebaut, dass sie für den Zellkern „verträglicher“ wurden. Und zweitens sind einige dieser verlagerten Gene lichtreguliert, das heißt, sie reagieren auf Umweltbedingungen, die für die Photosynthese wichtig sind.

Somit ist nun klar: Die primäre Endosymbiose in P. chromatophora führte zur Bildung eines echten Organells, das mit einem frühen evolutionären Stadium der uns in Pflanzen begegnenden Chloroplasten verglichen werden kann. Die Einbindung dieses Organells in den Wirtsorganismus ist allerdings bei der Amöbe noch nicht so weit fortgeschritten wie bei den Pflanzen.

Noch sind nicht alle Fragen, die an dieser außergewöhnlichen Amöbe, die nun zur Alge „geadelt“ wurde, untersucht werden können, geklärt. Aber die vorliegende Untersuchung zeigt, dass die Evolution auch bei so komplexen Vorgängen wie der Etablierung eines photosynthetischen Organells durch primäre Endosymbiose, das Gleiche nicht nur einmal ausprobiert.

Forscher aus Berlin, Jena und Köln entschlüsseln erste Schritte der Integration eines photosynthetischen Organells am Beispiel der Amöbe Paulinella chromatophora

Bei Rückfragen:
Dr. Patrick Honecker
Tel: +49 221 470-2202; 0170 5781717
E-Mail: patrick.honecker(at)uni-koeln.de
Inhaltliche Fragen:
Prof. Dr. Michael Melkonian
Biozentrum Köln, Universität zu Köln
Botanisches Institut
Tel: +49 221 470-2475
E-Mail: michael.melkonian@uni-koeln.de
PD Dr. Gernot Glöckner
Berlin Center for Genomics in Biodiversity Research
Institut für Gewässerbiologie und Binnenfischerei (IGB)
D-14195 Berlin
Tel: +49-30-838-54694
E-Mail: gloeckner@igb-berlin.de
Verantwortlich: Yusuf Söm

Media Contact

Gabriele Rutzen idw

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neues topologisches Metamaterial

… verstärkt Schallwellen exponentiell. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am niederländischen Forschungsinstitut AMOLF haben in einer internationalen Kollaboration ein neuartiges Metamaterial entwickelt, durch das sich Schallwellen auf völlig neue Art und Weise…

Astronomen entdecken starke Magnetfelder

… am Rand des zentralen schwarzen Lochs der Milchstraße. Ein neues Bild des Event Horizon Telescope (EHT) hat starke und geordnete Magnetfelder aufgespürt, die vom Rand des supermassereichen schwarzen Lochs…

Faktor für die Gehirnexpansion beim Menschen

Was unterscheidet uns Menschen von anderen Lebewesen? Der Schlüssel liegt im Neokortex, der äußeren Schicht des Gehirns. Diese Gehirnregion ermöglicht uns abstraktes Denken, Kunst und komplexe Sprache. Ein internationales Forschungsteam…

Partner & Förderer