Alzheimer-Toxine legen Kraftwerke der Zelle lahm

Die Immun-Fluoreszenzaufnahme einer menschlichen Zelle zeigt das Netzwerk der Mitochondrien (grün). Zum Vergleich sind der Zellkern in blau und das Endoplasmatische Retikulum in rot angefärbt. (c) AG Voos, Universität Bonn

Im Gehirn von Alzheimer-Kranken finden sich zwischen den Nervenzellen charakteristische Ablagerungen, die so genannten Plaques. Diese bestehen aus Beta-Amyloiden – das sind kurze Eiweiß-Ketten. Beta-Amyloide kommen auch in Gesunden vor, werden dort aber schnell abgebaut.

Bei Alzheimer-Patienten häufen sie sich dagegen an. In den Plaques finden sich daher große Mengen von miteinander verknäulten Beta-Amyloiden. Lange Zeit dachte man, dass diese extrazellulären Ablagerungen die Nervenzellen schädigen und schließlich abtöten. Nach dieser Lesart sind also die Plaques für die fortschreitende Demenz verantwortlich.

Inzwischen mehren sich Stimmen, die das bezweifeln. So weiß man heute, dass auch innerhalb der Nervenzellen Beta-Amyloide vorkommen. Viele Forscher vermuten, dass sie dort ihre toxische Wirkung entfalten, indem sie bestimmte Bestandteile der Zelle schädigen. Zu dieser These passt ein weiterer Befund: In den Nervenzellen von Alzheimer-Erkrankten sind oft die Mitochondrien defekt. Mitochondrien fungieren als „Minikraftwerke“: Sie liefern die Energie, die die Zelle für ihre Aufgaben benötigt.

Isolierte Mitochondrien mit Beta-Amyloiden versetzt

„Wir haben in unserer Arbeit untersucht, ob Beta-Amyloide die Mitochondrien schädigen können“, erklärt Professor Dr. Wolfgang Voos vom Institut für Biochemie und Molekularbiologie der Universität Bonn. „Dazu haben wir unter anderem isolierte Mitochondrien mit Beta-Amyloiden versetzt und getestet, welche Prozesse dadurch gestört werden.“

Direkte Schäden an den Mitochondrien konnten die Wissenschaftler nach dieser Behandlung nicht feststellen. Die Zellkraftwerke waren völlig intakt. „Wir haben aber einen anderen Effekt gefunden“, erläutert Voos: „Die Beta-Amyloide unterbinden den Transport von Proteinen in die Mitochondrien.“

Mitochondrien benötigen für ihre komplexe Aufgabe rund 1.000 verschiedene Proteine. Gerade einmal 13 davon können sie selbst herstellen. Die restlichen werden im Cytoplasma der Zelle produziert. Die Mitochondrien nehmen sie von dort mit Hilfe spezieller Transporter-Moleküle auf ihrer Oberfläche auf. Diese Aufnahme wird von den Beta-Amyloiden gehemmt – und zwar extrem effektiv. „Ich habe im Laufe meines Forscherlebens selten eine solch starke Blockade des Proteintransports gesehen“, betont Voos.

Ständiger Verschleiß

Ähnlich wie eine komplizierte Maschine unterliegen auch Mitochondrien einem ständigen Verschleiß. Viele ihrer Bestandteile haben nur eine begrenzte Lebensdauer und müssen daher regelmäßig ersetzt werden. Ohne diesen Nachschub verarmen die Zellkraftwerke unter anderem nach und nach an den Enzymen, die sie zur Energieerzeugung brauchen.

Irgendwann bricht die Energieproduktion völlig zusammen – die Zelle stirbt. „Dieser Mechanismus kann womöglich entscheidend zu dem massenhaften Untergang von Neuronen beitragen, der für die Alzheimer-Demenz charakteristisch ist“, sagt Voos.

Allerdings ist noch unklar, ob sich die Ergebnisse aus dem Reagenzglas auf ganze Zellen oder gar Alzheimer-Kranke übertragen lassen, schränken die Forscher ein. „Wir wollen nun in einem nächsten Schritt herausfinden, ob wir die Blockade des Protein-Transports auch in den Nervenzellen von Patienten finden“, erklärt Voos.

Publikation: Giovanna Cenini, Cornelia Rüb, Michael Bruderek und Wolfgang Voos: Amyloid β-peptides interfere with mitochondrial preprotein import competence by a coaggregation process; Molecular Biology of the Cell; doi:10.1091/mbc.E16-05-0313

Kontakt:
Prof. Dr. Wolfgang Voos
Institut für Biochemie und Molekularbiologie, Universität Bonn
Telefon: 0228/73-2426
E-Mail: wolfgang.voos@uni-bonn.de

Media Contact

Dr. Andreas Archut idw - Informationsdienst Wissenschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Nanofasern befreien Wasser von gefährlichen Farbstoffen

Farbstoffe, wie sie zum Beispiel in der Textilindustrie verwendet werden, sind ein großes Umweltproblem. An der TU Wien entwickelte man nun effiziente Filter dafür – mit Hilfe von Zellulose-Abfällen. Abfall…

Entscheidender Durchbruch für die Batterieproduktion

Energie speichern und nutzen mit innovativen Schwefelkathoden. HU-Forschungsteam entwickelt Grundlagen für nachhaltige Batterietechnologie. Elektromobilität und portable elektronische Geräte wie Laptop und Handy sind ohne die Verwendung von Lithium-Ionen-Batterien undenkbar. Das…

Wenn Immunzellen den Körper bewegungsunfähig machen

Weltweit erste Therapie der systemischen Sklerose mit einer onkologischen Immuntherapie am LMU Klinikum München. Es ist ein durchaus spektakulärer Fall: Nach einem mehrwöchigen Behandlungszyklus mit einem immuntherapeutischen Krebsmedikament hat ein…

Partner & Förderer