Aggressive AIDS-Varianten: Eine Ursache für das häufige Auftreten beim Menschen gefunden

Wissenschaftler um den Ulmer AIDS-Forscher Professor Frank Kirchhoff haben eine der Ursachen dafür gefunden, dass hoch aggressive CXCR4-trope Virusvarianten bei HIV-1 infizierten Menschen viel häufiger auftreten als bei Affen, die mit nahe verwandten SI-Viren (engl. simian immunodeficiency) infiziert sind. Das internationale Forscherteam konnte zeigen, dass die sehr seltenen CXCR4-tropen SI-Viren ihre Fähigkeit verlieren, die Aktivierung von infizierten Helfer T-Zellen zu blockieren. Dies ist anscheinend eine Voraussetzung für die effektive Virusvermehrung in ruhenden T-Zellen, die den CXCR4 Rezeptor tragen. HIV-1, der Haupterreger von AIDS, ist generell nicht in der Lage, die T-Zellaktivierung zu blockieren. Die Einzelheiten der Studie sind in der renommierten Fachzeitschrift Cell Reports erschienen.

HIV-1 benutzt neben CD4 die Korezeptoren CCR5 (R-trop) oder CXCR4 (X4-trop), um Zellen zu infizieren. In der frühen und chronischen Phase der HIV-1 Infektion findet man fast ausschließlich R5-trope Viren. Später treten in etwa 50 Prozent aller HIV-1 infizierten Personen aggressive X4-trope Virusvarianten auf, die ohne Therapie sehr rasch zur Entwicklung von AIDS führen. Bei SIV-infizierten Affen ist dieser Wechsel von CCR5 zu CXCR5, als Korezeptor-Switch bezeichnet, dagegen extrem selten. Warum das so ist, konnten die Forscher anhand komplexer molekularbiologischer Untersuchungen zeigen: Offenbar verlieren die ungewöhnlichen CXCR4-tropen SI-Viren die Fähigkeit, mit Hilfe ihres Nef Proteins einen bestimmten Rezeptor, das CD3 Molekül, von der Zelloberfläche zu entfernen. „CD3 spielt eine essentielle Rolle bei der Aktivierung von T-Zellen durch andere Immunzellen. Die meisten CCR5+ T-Zellen sind bereits vor der Virusinfektion aktiviert und SI-Viren entfernen CD3 von der Oberfläche, um deren Überaktivierung und ein vorzeitiges Absterben zu verhindern“, erklärt der Leiter des Ulmer Instituts für Molekulare Virologie, Frank Kirchhoff. Ruhende CXCR4+ T-Zellen müssten dagegen erst stimuliert werden, um eine effektive Virusvermehrung zu ermöglichen. HIV-1 habe generell keinen Einfluss auf CD3 und verstärke die T-Zellaktivierung. „Aus diesem Grunde ist HIV-1 eher als SIV in der Lage, sich in ruhenden CXCR4+ T-Zellen zu vermehren“, so der Virologe weiter.

Das Fehlen dieser Nef Funktion erhöht somit wahrscheinlich die Pathogenität von HIV-1 aus mindestens zwei Gründen: Zum einem trägt sie voraussichtlich zur chronischen starken „Hyperaktivierung“ des Immunsystems im menschlichen Wirt bei, die die Entwicklung von AIDS vorantreibt. Zum anderen erleichtert sie das Auftreten von X4-tropen HIV-1 Varianten, die ohne antiretrovirale Therapie zum sehr raschem Verlust der CD4+ Helfer T-Zellen und zu AIDS führen. Die Forscher hoffen, dass diese Erkenntnisse dazu beitragen werden, das Auftreten der aggressiven X4-tropen HIV-1 Varianten zu verhindern. Die deutsch-amerikanische Gruppe wurde vom National Institutes of Health (NIH) gefördert. Weitere Mittel stammen aus dem Gottfried Wilhelm Leibniz Preis (Deutsche Forschungsgemeinschaft) von Professor Kirchhoff.

Text: Prof. Dr. Frank Kirchhoff

Weitere Informationen: Prof. Dr. Frank Kirchhoff, Tel.: 0731/500-65150, frank.kirchhoff@uni-ulm.de

Jan Schmökel, Hui Li, Asma Shabir, Hangxing Yu, Matthias Geyer, Guido Silvestri, Donald L. Sodora, Beatrice H. Hahn, Frank Kirchhoff. Link between Primate Lentiviral Coreceptor Usage and Nef. Cell Reports – 27 November 2013 (Vol. 5, Issue 4, pp. 997-1009)

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