Technik trifft Gesellschaft – Munich Center for Technology in Society startet erste Forschungsprojekte

Wie beeinflussen sich Gesellschaft und Forschung gegenseitig? Was sollte aus ethischer Sicht bei technischen Entwicklungen beachtet werden? Wie können Wissenschaft und Öffentlichkeit miteinander kommunizieren? Das Munich Center for Technology in Society erforscht die humanwissenschaftlichen Aspekte der Technikwissenschaften. Soziologen und Ethiker, Philosophen und Historiker, Wirtschafts- und Medienwissenschaftler arbeiten in gemeinsamen Forschungsprojekten Hand in Hand mit Ingenieur- und Naturwissenschaftlern.

In den „MCTS-Labs“ forschen die Wissenschaftler problemorientiert und empirisch, integrieren aber gleichzeitig ethisch-normative Aspekte. Ein „MCTS-Lab“ setzt sich aus einzelnen Fallstudien zum gemeinsamen Schwerpunktthema zusammen, die in ihren Fragestellungen vernetzt sind. In fünf Jahren sollen die besten „MCTS-Labs“, die im Wettbewerb untereinander stehen und permanent evaluiert werden, in Forschergruppen oder Sonderforschungsbereiche überführt werden.

Das MCTS ist ein Kernstück des Zukunftskonzepts, mit dem die TUM 2012 bei der Exzellenzinitiative erfolgreich war. An den nun startenden Projekten sind auch Wissenschaftler des Deutschen Museums, der Hochschule für Philosophie München, der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Universität der Bundeswehr München beteiligt.

Soziotechnische Großprojekte in Deutschland
Unsere Gesellschaft steht vor einer Reihe großer soziotechnischer Herausforderungen in Bereichen wie Mobilität, erneuerbare Energien oder Informations- und Kommunikationsnetzwerke. Fortschritte können oft nur mit Großprojekten erzielt werden. In Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern, ist seit einigen Jahren die Aufmerksamkeit zivilgesellschaftlicher Organisationen und der Öffentlichkeit insgesamt für solche Projekte gestiegen. Beispiele für umstrittene Vorhaben sind der Großflughafen Berlin-Brandenburg, Stuttgart 21 sowie der Bau neuer Wind-, Wasser- oder Biogaskraftwerke. Ziel dieses Projekts ist es, Aufschlüsse über die Erfolgsfaktoren und Barrieren für die Realisierung von Großprojekten im Bereich der Mobilität zu finden. Ingenieure, Wirtschaftswissenschaftler, Philosophen, Ethiker, Mathematiker und Informatiker wollen u.a. die Informationssuche, Datenaufbereitung und Datenanalyse in Entscheidungsprozessen analysieren, Methoden zur Risikoabschätzung von technisch-gesellschaftlichen Großprojekten erarbeiten, das Verständnis komplexer soziotechnischer Systeme verbessern sowie Frühwarnsysteme für den Kommunikationsbedarf zu sozialen, ethischen und kulturellen Aspekten entwickeln.
Soziotechnische Systeme, Robotik und demographischer Wandel
Viele Menschen bleiben bis weit in ihre 70er Jahre körperlich und geistig fit. Kognitive Fähigkeiten wie Erfahrung, Urteilskraft und Übersicht nehmen sogar zu. Die Senioren nehmen aber nicht mehr am Arbeitsleben teil, obwohl dies die Lebensqualität der Einzelnen verbessern könnte sowie gesamtgesellschaftlich ein großes Arbeitsmarktpotenzial und enorme Berufserfahrung nutzen würde. Mit den heutigen Möglichkeiten der Technik könnten kreative Tätigkeiten zu Hause oder in wohnungsnahen Einrichtungen auch von älteren Arbeitnehmern übernommen werden. Das Ziel des Projekts ist daher, Bau- und Infrastrukturobotik nicht nur für altersgerechte Wohnungen einzusetzen, sondern auch für den Aufbau eines dezentralen und altersgerechten Beschäftigungsnetzes zu erproben. Ingenieure, Mediziner und Philosophen gehen den Fragen nach: Welche Systeme sind derzeit technisch möglich? Wie beantworten diese Szenarien den demographischen Wandel einer älter werdenden Gesellschaft? Wie reagieren Menschen sozial und psychisch auf ein solches Angebot? Wie lässt sich das wirtschaftliche Potenzial abschätzen?
Wassermanagement
Wasserknappheit ist eine der großen Herausforderungen der Menschheit. In einigen Regionen der Erde führt Wassermangel zu menschlichen Katastrophen, aber auch wirtschaftlichen und politischen Krisen. Häufig handelt es sich um das Resultat von fehlenden technischen Infrastrukturen, wirtschaftlichen Anreizen und institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Daher ist Wassermanagement entscheidend. Dabei müssen die natürlichen Ressourcen, Ökosysteme, kulturellen Hintergründe und ethischen Einstellungen der betroffenen Menschen berücksichtigt werden. Die ethische Forderung der Subsidiarität meint, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Menschen sich selbst helfen können. In dem Projekt haben sich Sozialwissenschaftler und Ethiker, Ingenieur- und Naturwissenschaftler zusammengeschlossen, um Strategien für eine nachhaltige Wasserwirtschaft zu erarbeiten.
Lernen aus Technik- und Wissenschaftsgeschichte
Die Öffentlichkeit ist gewohnt, meist nur die Erfolge der Wissenschaft zu registrieren. Wer Wissenschaft „von innen“ kennt, weiß um die langen Durststrecken und Rückschläge, die letztlich erst Erkenntnisse möglich machen. Fehler, Unwissenheit, Zufälligkeit und Irrtümer waren und sind der Alltag der Wissenschaft. Um die Verlässlichkeit von wissenschaftlichen Methoden richtig einzuschätzen, müssen Forscher ihre jeweiligen Grenzen und Voraussetzungen kennen und berücksichtigen. Brücken, die zusammenbrechen, sind der Alptraum eines Ingenieurs. Aber Ungewissheit gehört zu jedem noch so sicheren ingenieurwissenschaftlichen Projekt. Wie geht man damit um? Bis zu welchem Grad lässt sich Ungewissheit einkalkulieren? Fallstudien aus der Geschichte der Ingenieurwissenschaften, Mathematik, Informatik und Ökonomie stehen im Zentrum dieses Forschungsprojekts.
Unsicheres Wissen – von der Prognostik zur prädiktiven Medizin
Mit dem Aufstieg der Genetik und Pharmakogenetik sowie biochemischer Methoden haben in der Medizin Voraussagen über Gesundheit und Krankheitsverläufe einen signifikanten Aufschwung erlebt. Damit erweitern sich die Entscheidungsmöglichkeiten des Einzelnen. Medizinische Voraussagen erzeugen Entscheidungen mit ethischen Folgen, denn sie können über den „Informationsträger“ hinaus auch die Nachkommen betreffen. Das Forschungsprojekt analysiert, wie der Verantwortungsbereich von Medizin und Gesellschaft durch diese Entwicklungen immer stärker erweitert wird und welche Konsequenzen dieser unaufhaltbare Prozess mit sich bringt. Nicht nur innerhalb der Medizin selbst, sondern auch im Austausch mit der Bioethik, Wissenschaftstheorie, Gesundheitsökonomie, Genderforschung und Medizingeschichte sollen die medizinische Prognostik, ihre bewegte Tradition, ihre derzeitige Gestalt und ihre Zukunftsvisionen untersucht werden.
Mehr Informationen:
http://www.mcts.tum.de
Kontakt:
Prof. Dr. Klaus Mainzer
Technische Universität München
Direktor Munich Center for Technology in Society
T: +49 89 289 25360
E: mainzer@tum.de
Die Technische Universität München (TUM) ist mit rund 500 Professorinnen und Professoren, 9.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und 32.000 Studierenden eine der führenden technischen Universitäten Europas. Ihre Schwerpunktfelder sind die Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften, Medizin und Wirtschaftswissenschaften. Nach zahlreichen Auszeichnungen wurde sie 2006 und 2012 vom Wissenschaftsrat und der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Exzellenzuniversität gewählt. In nationalen und internationalen Vergleichsstudien rangiert die TUM jeweils unter den besten Universitäten Deutschlands. Die TUM ist dem Leitbild einer forschungsstarken, unternehmerischen Universität verpflichtet. Weltweit ist die TUM mit einem Forschungscampus in Singapur sowie Niederlassungen in Peking (China), Brüssel (Belgien), Kairo (Ägypten), Mumbai (Indien) und Sao Paulo (Brasilien) vertreten.

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Prof. Dr. Klaus Mainzer Technische Universität München

Weitere Informationen:

http://www.tum.de http://www.mcts.tum.de

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