G8-Reform: Abiturienten sind jünger, aber mehr Schüler wiederholen eine Klasse

Jüngere Abiturienten, unveränderter Abiturientenanteil, aber mehr Sitzenbleiber: Das sind laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) Folgen der G8-Reform zur Verkürzung der Gymnasialschulzeit in Deutschland.

Demnach sind die Abiturientinnen und Abiturienten durchschnittlich rund zehn Monate jünger als vor der Reform, wenn sie ihren Abschluss erreichen. Dies sind weniger als die zwölf Monate, um die sich die Schulzeit infolge der Reform verkürzt hat.

Ein Grund dafür: Mehr Schüler als früher wiederholen im Laufe ihrer Zeit am Gymnasium eine Klasse, insbesondere in der Oberstufe. Beim Anteil der Schüler, die ihre Schullaufbahn am Gymnasium mit dem Abitur abschließen, hat sich durch die Einführung der zwölf Jahre umfassenden Schulzeit bis zum Abitur im Vergleich zur 13 Jahre dauernden Schulzeit keine Änderung ergeben.

„Befürchtungen, dass die G8-Reform Schüler vom Abitur abschreckt, können ebenso wenig bestätigt werden wie Hoffnungen, dass die verkürzte Abiturschulzeit dazu führt, dass sich mehr junge Leute für ein Abitur entscheiden“, sagen die Studienautoren Jan Marcus und Mathias Huebener. Die beiden Bildungsökonomen des DIW Berlin haben anhand amtlicher Daten des Statistischen Bundesamtes für die Abiturjahrgänge 2002 bis 2013 untersucht, wie sich eine der umstrittensten Bildungsreformen der vergangenen Jahre auf wichtige Kennzahlen für Bildungserfolg ausgewirkt hat. Mittlerweile drehen erste Bundesländer die Reform zurück.

Marcus und Huebener raten, bei Änderungen der Schulzeit nicht in Aktionismus zu verfallen: „Man kann die Reform zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend beurteilen. Noch lässt sich nicht zuverlässig sagen, welche Wirkungen sie außerhalb der Schule hat, beispielsweise darauf, ob sich das Freizeitverhalten und das gesellschaftliche Engagement der Schüler verändert haben und ob Abiturienten tatsächlich früher in den Arbeitsmarkt eintreten.“

Zahl der Klassenwiederholungen steigt vor allem in der Oberstufe

Eine wichtige Frage ist, welche Effekte tatsächlich auf die Reform zurückgehen. So muss beispielsweise bei der Abiturientenquote der generelle – also von der Reform völlig unabhängige – Trend zu mehr Abiturienten berücksichtigt werden.

Dafür, dass die Abiturienten heute jünger sind, könnte auch ein jüngeres Einschulungsalter verantwortlich sein. Um solche verzerrenden Effekte herauszurechnen, haben Marcus und Huebener einen sogenannten Differenz-von-Differenzen-Ansatz verwendet, der nicht nur allgemeine Veränderungen der Untersuchungsgrößen berücksichtigt, sondern auch den Einfluss anderer Bildungsreformen wie die Einführung des Zentralabiturs.

Die multivariaten Analysen ergeben, dass die G8-Reform das Durchschnittsalter der Abiturienten statt um ein ganzes Jahr nur um durchschnittlich 10,3 Monate reduziert hat, unter anderem, weil die Wahrscheinlichkeit, im Verlauf der Gymnasialschulzeit eine Klasse zu wiederholen, um 3 Prozentpunkte gestiegen ist.

Da unter G9 im Durchschnitt fast 15 Prozent der Schüler einer Jahrgangsstufe im Laufe ihrer Gymnasialschulzeit eine Klasse wiederholt hätten, entspricht der Anstieg einer Erhöhung der Klassenwiederholungsquote um rund ein Fünftel. Jungen sind von dieser Entwicklung stärker betroffen als Mädchen. Die meisten der zusätzlichen Klassenwiederholungen gab es in der Oberstufe – dies könnte auch darauf hindeuten, dass die betroffenen Schüler nicht unbedingt durch G8 überfordert sind, sondern freiwillig eine Klassenstufe wiederholen, um Kurswahlen anzupassen oder die Abiturleistung zu verbessern.

Auswirkungen der G8-Reform nicht nur kurzfristige Umstellungseffekte

Die Effekte der G8-Reform ließen sich anhand einer zusätzlichen Analyse zudem über einen längeren Zeitraum nachweisen. „Die steigende Zahl der Klassenwiederholungen ist kein kurzfristiges Phänomen, das nur im Umfeld der Einführung von G8 auftritt und mit zunehmender Erfahrung mit der neuen Schulform nachlässt“, erklärt Huebener.

So blieb die Reduktion des Abiturientenalters in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern – jenen Ländern, die die Reform zuerst umsetzten – auch fünf Jahre nach dem G8-/G9-Doppeljahrgang hinter einem vollen Jahr zurück. Auch die Entwicklung der Klassenwiederholungsquote schwächte sich mit zunehmendem Abstand zur Reformeinführung nicht ab.

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