Deutsch in Wissenschaft kurz vor Aussterben

Die deutsche Sprache wird in der Wissenschaft zunehmend von Englisch verdrängt, was für die Forschung und ihre Vermittlung ernste Konsequenzen hat.

Diesem Thema widmet sich das Kolloquium „Wissenschaftssprachen in Geschichte und Gegenwart“, das ab morgen, Donnerstag, an der Universität Bamberg stattfindet. „Außerhalb der Geisteswissenschaften spielt Deutsch in den Wissenschaften keine Rolle mehr“, stellt Helmut Glück, Germanist und Organisator der Veranstaltung, im pressetext-Interview fest.

Die Tagung beleuchtet die Situation der deutschen Sprache in verschiedenen Disziplinen und hinterfragt auch die Auswirkungen auf die Praxis der Sprache.

Gestorben sei die Sprache Deutsch laut Glück bereits in den meisten Fachpublikationen der Natur- und Technikwissenschaften sowie in der Medizin. „Die Chemiker sind die letzte Naturwissenschaft, die noch eine deutsche Fachzeitschrift herausgeben. Ermöglicht wird das durch ein eigenes Terminologie-Büro, mit dem der Chemikerverband zu einer deutschen Prägung des Faches beitragen will“, so der Bamberger Germanist. Am ehesten sei Deutsch noch in der Theologie und in den Altertumswissenschaften zu finden, sowie natürlich in der Germanistik. „Allerdings gibt es in verwandten Disziplinen wie in der Romanistik durchaus Tendenzen, ebenfalls Englisch zu verwenden. Denn Romanisten beherrschen immer weniger die anderen romanischen Sprachen, die zur gegenseitigen Verständigung nötig sind“, so der Experte.

Als wesentlichen Grund für diese Entwicklung sieht Glück die zunehmende Spezialisierung, besonders in den Natur- und Technikwissenschaften. „Da die Teilgebiete einer Disziplin immer kleiner und höher spezialisiert werden, schrumpfen auch die wissenschaftlichen Communitys, deren Mitglieder zur Verständigung untereinander auf eine gemeinsame Sprache angewiesen sind.“ Ähnlich betroffen seien auch die Wissenschaftspublikationen in anderen Sprachen, wie etwa in der einstigen Weltsprache Russisch. „Es gibt noch immer über 1.000 Fachzeitschriften, die in Russisch erscheinen, was ein Überbleibsel der ehemaligen imperialen Politik des Landes ist. Dennoch ist auch hier der Trend zum Englischen und die Diskussion darüber vergleichbar“, so Glück.

Die dominierende Sprache der Wissenschaft hat in den vergangenen Jahrhunderten mehrmals gewechselt. Dies im 17. Jahrhundert noch unangefochten Latein war und auch noch um 1800 alle Wissenschaftler Latein beherrschten, publizierte man im frühen 19. Jahrhundert vor allem auf Englisch, Französisch und Deutsch. „Die Wurzeln dafür reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Damals hat etwa Albrecht Dürer deutsche Begriffe wie 'Kreis' oder 'Würfel' in die Geometrie eingeführt und damit zur notwendigen Terminologie beigetragen“, erklärt Glück. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte es Deutsch zu einer der drei ersten Sprachen der Wissenschaft geschafft, was sich in deutschen Publikationen in Osteuropa und sogar in Japan zeigt. Dem bereitete der Boykott der deutschen Wissenschaft ein Ende, der nach dem ersten Weltkrieg und später infolge der Gräuel des NS-Regimes eintrat. „Am deutlichsten war der Abstieg von Deutsch zugunsten Englisch in den 60er-Jahren“, berichtet der Bamberger Germanist.

Dass Deutsch auch weiterhin stets zurückgedrängt wird, bereite in erster Linie den Wissenschaftlern selbst Probleme, wenn etwa medizinische Zeitschriften Manuskripteinreichungen auf Deutsch ablehnen. „Es kommt sogar manchmal zum Streit, ob deutsche Titel als Referenzen zitiert werden dürfen. Wenn die Forschung meines Nachbarn nicht mehr zur Kenntnis genommen wird, ist dies jedoch vielmehr Zeichen von provinzialer Engstirnigkeit als von Globalisierung „, kritisiert Glück. Zu beklagen sei auch der Verlust eigener Terminologien in weiten Bereichen der Naturwissenschaften und Medizin, der die Vermittlung von Wissenschaft in der Landessprache sehr erschwere. „Hätte man sich etwa beim Aufkommen des Tissue Engineerings vor einigen Jahren Gedanken gemacht und 'Gewebetechnik' als Terminus etabliert, hätten wir uns einige Probleme erspart“, so der Sprachforscher. Als Alternative zur Verpflichtung des Englischen biete sich die Vielsprachigkeit an. „Günstig wäre es, wenn Forscher mehrere Sprachen lesen können. Das braucht jedoch auch entsprechende Bildung und politischen Willen.“

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Johannes Pernsteiner pressetext.deutschland

Weitere Informationen:

http://www.uni-bamberg.de

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