Teilchen, Zellen und Materie

13 neue Sonderforschungsbereiche an deutschen Hochschulen

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) richtet zum 1. Juli 2006 13 neue Sonderforschungsbereiche ein. Darunter befinden sich 6 Transregios, also Sonderforschungsbereiche an mehreren Standorten. Die Initiativen umfassen alle Wissenschaftsbereiche und beschäftigen sich unter anderem mit der Untersuchung der Mensch-Maschine-Kommunikation, mit der Entwicklung des Universums und mit Mehrdeutigkeiten von Sprache.

Darüber hinaus wurden 16 Sonderforschungsbereiche für eine weitere Förderperiode bewilligt. Damit fördert die DFG insgesamt 277 Sonderforschungsbereiche, darunter 29 Transregios, also Sonderforschungsbereiche an mehreren Standorten, und außerdem 35 Transferbereiche und Transferprojekte, die gezielt die Kooperation mit der Wirtschaft stärken. Die Fördersumme für 2006 beläuft sich auf insgesamt rund 377 Millionen Euro.

Die neuen Sonderforschungsbereiche im Einzelnen:

RWTH Aachen

Der Sommer naht und gleichzeitig die Warnung vor erhöhten CO2-Werten in der Atmosphäre. Dies führt nicht nur zu Einschränkungen im Autoverkehr, viel weitreichender sind die damit verbundenen globalen Klimaveränderungen. Ursache für die Emission von CO2 ist die Verbrennung von Kohlenwasserstoffen. Der Sonderforschungsbereich „Modellbasierte Regelung der homogenisierten Niedertemperatur-Verbrennung“ setzt sich zum Ziel, Brennverfahren so zu optimieren, dass bei gleicher Effizienz die Emissionen niedrig bleiben. Dies kann erreicht werden, wenn man eine homogenisierte Verbrennung bei durchschnittlich niedrigen Temperaturen durchführt. Die hierbei auftretenden Instabilitäten sollen nicht nur durch Maßnahmen bei der Verbrennung behoben werden, sondern vor allem durch Eingriffe in die Prozessführung. Deshalb wollen die Wissenschaftler aus Aachen und Bielefeld modellbasierte Regelungen schaffen, die den Prozess kontrollieren. (Sprecher: Prof. Norbert Peters, Aachen)

Charité Berlin (HU Berlin und FU Berlin)

Wenn Krebserkrankungen nicht mehr durch Chemotherapie, Strahlentherapie oder Chirurgie behandelt werden können, soll verstärkt das Immunsystem genutzt werden. Dieser Bereich der Immuntherapie ist bisher in Deutschland nur sehr wenig erforscht. Der Transregio „Principles and Applications of Adoptive T-Cell Therapy“ konzentriert sich auf die sogenannte adoptive T-Zelltherapie bei viralen und Tumor-Erkrankungen. Die Wissenschaftler aus Berlin und München, die sowohl die immunologische Grundlagenforschung als auch die klinische Forschung mit einbeziehen, wollen experimentelle Systeme entwickeln, um hoch effektive T-Zellen zu generieren. Parallel dazu sollen Bedingungen für die beste Wirksamkeit identifiziert werden, vor allem bezüglich der Überlebensdauer und der Funktion dieser Zellen. Langfristiges Ziel ist es, ausreichende Mengen humaner T-Zellen herzustellen, die dann patientenspezifisch modifiziert und in der Klinik eingesetzt werden können. (Sprecher: Prof. Thomas Blankenstein, Berlin)

Universität Bielefeld

Wenn schon die zwischenmenschliche Verständigung so kompliziert ist, wie soll dann erst die Mensch-Maschine-Kommunikation funktionieren? Um dieses Problem zu lösen, untersuchen Linguisten, Neurowissenschaftler und Computerwissenschaftler gemeinsam Gestik, Sprache und kooperatives Handeln beim Menschen. Zu den Mechanismen menschlicher Kommunikation gehören vor allem Prozesse wie Automatisierung und Routinisierung. Im Sonderforschungsbereich „Alignment in Communication“ in Bielefeld wird Grundlagenforschung mit Anwendungsfragen so kombiniert, dass ein einheitliches Prozessmodell der Kommunikation geschaffen und die Übertragung auf die Bereiche der multimodalen Kommunikation und der Mensch-Maschine-Kommunikation analysiert wird. Ein zukünftiges Feld dieser Kommunikation könnte auch das „E-Learning“, also das Lernen mithilfe von digitalen Medien sein. (Sprecher: Prof. Gert Rickheit, Bielefeld)

Universität Bochum

Um sowohl eine optimale Kundenorientierung als auch eine Kostenreduktion bei allen Kunden-Lieferanten-Prozessen zu erreichen, bestreitet die Wissenschaft neue Wege und nutzt die so genannte Theorie hybrider Leistungsbündel (HLB). Im Zentrum des Transregios „Engineering hybrider Leistungsbündel – Dynamische Wechselwirkungen von Sach- und Dienstleistungen in der Produktion“ stehen ingenieurwissenschaftliche Fragestellungen, die ergänzt werden durch Ansätze aus dem Controlling und Marketing. Ziel der Initiative ist es, Methoden und Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, um eine formale Theorie zu entwickeln und diese am Beispiel von Mikroproduktionsanlagen zu testen. Beteiligt ist neben der Universität Bochum auch die TU Berlin. (Sprecher: Prof. Horst Meier, Bochum)

TU Chemnitz

Um aktive Strukturbauteile serienmäßig zu produzieren, bedarf es wissenschaftlicher Grundlagen. Diese will der geplante Transregio „Großserienfähige Produktionstechnologie für leichtmetall- und faserverbundbasierte Komponenten mit integrierten Piezosensoren und -aktoren“ erarbeiten. Der Schwerpunkt der Initiative der Universitäten Chemnitz, Dresden und Erlangen-Nürnberg liegt auf dünnwandigen, flächigen Leichtbaustrukturen aus Aluminium und Faserverbundwerkstoff, in die sogenannte piezokeramische Fasern und Laminate eingebunden sind. So sollen in Zukunft aus adaptronischen, also sich anpassenden Werkstoffen „intelligente“ Bauteile in Großserie gefertigt werden können, wie sie zum Beispiel in der Luft- und Raumfahrt Anwendung finden. (Sprecher: Prof. Reimund Neugebauer, Chemnitz)

TU Clausthal

Jeder Werkstoff hat spezifische Eigenschaften, zum Beispiel Festigkeit, Temperaturbeständigkeit oder chemische Beständigkeit. Je nach Einsatzgebiet im Maschinen- und Apparatebau werden Werkstoffe unterschiedlich stark belastet. Derzeit wählt man Werkstoffe nach der zu erwartenden Höchstbelastung aus, auch wenn diese nur in einigen Bereichen auftritt. Der Sonderforschungsbereich „Erzeugung hochfester metallischer Strukturen und Verbindungen durch gezieltes Einstellen lokaler Eigenschaften“ an der TU Clausthal und der Universität Hannover hat sich zum Ziel gesetzt, die Eigenschaften der Werkstoffe an den jeweiligen lokalen Bedarf anzupassen. Damit soll das Anwendungsfeld der Werkstoffe erweitert und gleichzeitig eine optimierte Nutzung gesichert werden. (Sprecher: Prof. Dr.-Ing. Heinz Palkowski, Clausthal)

Universität Dortmund

Logistik umfasst im klassischen Sinn die Aktivitäten rund um den Transport, Umschlag und die Lagerung von Gütern und Personen. Der neue Trend der „E-Logistics“ stellt sich auf die individuellen Bedürfnisse der Unternehmen ein. So wird die Logistik zur „Logistic on Demand“, angepasst an unterschiedliche Lieferwünsche und Aufträge. Der Sonderforschungsbereich „Forderungsgerechte Auslegung von intralogistischen Systemen – Logistics on Demand“ sucht nach optimierten Verfahren und Methoden und versucht, logistische Systeme an die Anforderungen aller Interessengruppen anzupassen. In erster Linie geht es um eine verbesserte Erfassung der Anforderungen und eine Kostenminimierung. Von zentraler Bedeutung für die Wissenschaftler der Universitäten Dortmund ist die Entwicklung von Verfahren zur Instandhaltung und zum Qualitätsmanagement. (Sprecher: Prof. Horst-Artur Crostack, Dortmund)

Universität Greifswald

Um Staphylokokken-Infektionen, zum Beispiel „Krankenhausinfektionen“, in Zukunft erfolgreicher bekämpfen zu können, wollen Wissenschaftler aus Greifswald, Würzburg und Tübingen mithilfe der funktionellen Genomforschung die Erreger untersuchen. Die zentrale Fragestellung des Transregios „Pathophysiologie von Staphylokokken in der Post-Genom-Ära“ ist der bislang wenig untersuchte Zusammenhang zwischen der Physiologie des Erregers und dem Verlauf der Erkrankung. Ziel ist es, neue und interessante Zielgene und -proteine zu entdecken, die zur Resistenzentwicklung dieses medizinisch bedeutenden Erregers beitragen, um diese dann gezielt untersuchen zu können. Hierbei kommen modernste Methoden zum Einsatz, die bisher nur im Modell benutzt wurden. (Sprecher: Prof. Michael Hecker, Greifswald)

Universität Hamburg

Fragen zur Geschichte des Universums beschäftigen die Wissenschaftler schon seit Jahrhunderten. Erst in jüngster Zeit fließen unterschiedliche Erklärungsansätze aus der Teilchenphysik, der frühen Kosmologie und der Stringtheorie zusammen. Ziel des Sonderforschungsbereichs „Teilchen, Strings und frühes Universum: Struktur von Materie und Raum-Zeit“ ist es, mithilfe der drei Disziplinen eine vereinigte Theorie von Materie und Raum-Zeit zu entwickeln. Im Zentrum stehen der Mechanismus der Massenerzeugung sowie Fragen nach dem Ursprung der Dunklen Materie und der Dunklen Energie. Die Wissenschaftler der Universität Hamburg erhoffen sich durch die Zusammenführung theoretischer und experimenteller Ergebnisse aus den genannten Forschungsgebieten darüber hinaus weitreichende Erkenntnisse über die Bausteine der Materie sowie zum Verständnis der Geschichte des Universums. (Sprecher: Prof. Jan Louis, Hamburg)

Universität Heidelberg

Die Faszination des Universums liegt nicht nur in seiner Ausdehnung, sondern vor allem darin, dass das Weltall bisher weitgehend unerforscht ist. Man bewegt sich nicht nur wissenschaftlich im Dunkeln: Circa 95 Prozent des Universums bestehen aus Dunkler Energie und Materie. Der Transregio „Das Dunkle Universum“ will systematisch mit astrophysikalischen Beobachtungen, numerischen Simulationen und theoretischen Modellen die physikalischen Eigenschaften der Dunklen Energie und der Dunklen Materie untersuchen, die fast vollständig ungeklärt sind. Die beteiligten Wissenschaftler aus Heidelberg, Bonn und München erhoffen sich davon Rückschlüsse auf die zeitliche Entwicklung und die Strukturbildung des Universums. (Sprecher: Prof. Christof Wetterich, Heidelberg)

Universität Kassel

Die Herstellung hochwertiger Massengüter bedarf einer optimalen Prozessführung, einer Flexibilisierung der erreichbaren Produktgeometrie und besonderer Produkteigenschaften. In diesem Zusammenhang hat sich der Transregio „Prozessintegrierte Herstellung funktional gradierter Strukturen auf der Grundlage thermo-mechanisch gekoppelter Phänomene“ zum Ziel gesetzt, diese Eigenschaften bei Verfahren der Metall- und Kunstoffformgebung zu erreichen. Um diese neuartigen Prozessvarianten zu erreichen, sind sowohl experimentell gestützte Grundlagenuntersuchungen nötig als auch Modelle und Simulationen, die exakt den Prozessverlauf und die Produkteigenschaften vorhersagen. Ziel der Initiative der Universitäten Kassel, Dortmund und Paderborn ist es, die Werkstoffbehandlung prozessorientiert durchzuführen und neuartige Produktionsstrukturen zu entwickeln. (Sprecher: Prof. Kurt Steinhoff, Kassel)

Universität Köln

Jedes Jahr im Winter plagt den Menschen die Erkältung – eine Infektion, die meist nach wenigen Tagen überstanden ist. Doch es gibt andere Infektionskrankheiten wie beispielsweise Hepatitis, die langwieriger und gefährlicher sind. Diese Krankheiten werden durch Erreger hervorgerufen, die unsere Immunabwehr nicht bekämpfen kann. Die Wissenschaftler des Sonderforschungsbereichs „Zell-autonome Immunität“ an den Universitäten Köln und Bonn sowie am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln untersuchen nicht nur menschliche, sondern erstmals vergleichend auch pflanzliche Zellen, die im Wesentlichen auf ihre zell-autonome Abwehr angewiesen sind. Ziel ist es, neue Erkenntnisse über die Abwehrmechanismen zu gewinnen, die innerhalb einzelner Zellen stattfinden. Auf lange Sicht können die Ergebnisse des Sonderforschungsbereichs für therapeutische Anwendungen nützlich sein. (Sprecher: Prof. Martin Krönke, Köln)

Universität Stuttgart

Unterschiedliche Lesarten und Interpretationen ein und desselben Satzes werden in der Linguistik als Ambiguitäten bezeichnet. Ziel des Sonderforschungsbereichs „Inkrementelle Spezifikation im Kontext“ an der Universität Stuttgart ist es, ein besseres Verständnis der Mechanismen zu gewinnen, die es ermöglichen, Ambiguitäten zu kontrollieren beziehungsweise aufzulösen. Dabei spielt der Kontext eine besondere Rolle, da er wichtige Informationen zur Interpretation und zur richtigen Lesart liefert. Das linguistisch und computerlinguistisch ausgerichtete Kooperationsprojekt legt die Annahme zugrunde, dass es eine enge Interaktion zwischen Kontext und Bedeutung gibt. Daher sei es wichtig, den Kontext früh in die linguistische Analyse einzubeziehen, um bestimmte Lesarten zu eliminieren. Die Wissenschaftler wollen auf lange Sicht linguistische Informationen in die statistische Modellierung von Sprache integrieren. (Sprecher: Prof. Artemis Alexiadou, Stuttgart)

Die neuen Transferbereiche:

RWTH Aachen

Der Transferbereich „Neue Konzepte und Werkzeuge für die Verfahrenstechnik-Praxis“ baut auf Ergebnissen des Aachener Sonderforschungsbereichs „Informatische Unterstützung übergreifender Entwicklungsprozesse in der Verfahrenstechnik“ auf. Die dort erarbeiteten Grundlagen sollen in Zusammenarbeit mit verschiedenen Anwendern umgesetzt und überprüft werden. Es geht dabei um anwendungsbezogene Modellierungsfragen sowohl verfahrenstechnischer als auch arbeitswissenschaftlicher Art. Dabei werden informatische Fragen der Software-Implementierung behandelt, insbesondere zu den Themen Datenverwaltung, softwaretechnischer Werkzeugbau und -integration sowie verwendete Infrastrukturen. (Sprecher: Prof. Manfred Nagl, Aachen)

TU Berlin

LCD-Flachbildschirme bieten nicht nur ein optimales Fernseherlebnis, sie sind auch dezent in ihrer äußeren Form. Der Transferbereich „Management, Produkte, Prozesse und Technologien für praktische Produkt- und Materialkreisläufe“ will die Ergebnisse des Sonderforschungsbereichs „Demontagefabriken zur Rückgewinnung von Ressourcen in Produkt- und Materialkreisläufen“ so aufbereiten, dass deren Übertragung in die Industrie erleichtert wird. Im Zentrum stehen dabei Themen zur Betriebsmittelplanung und zu Materialkreisläufen. Langfristig wollen die Wissenschaftler praxistaugliche Verfahren und Werkzeuge entwickeln. (Sprecher: Prof. Günther Seliger, Berlin)

Universität Stuttgart

Die steigende Zahl neuer Produkte auf dem Markt zwingt die Unternehmen zu neuen Herstellungsverfahren und verkürzten Zeiten bei der Entwicklung von Prototypen. Der Transferbereich „Entwicklung und Erprobung innovativer Produkte – Rapid Prototyping“, der auf die Arbeiten des gleichnamigen Sonderforschungsbereichs zurückgeht, will nutzbare und flexible Instrumente entwickeln, die sowohl den Kunden als auch den Unternehmen gerecht werden. So sollen vor allem vorhandene Ergebnisse bereits in eine frühe Phase der Produktentwicklung einfließen. Dazu gehört unter anderem die arbeitswissenschaftliche Gestaltung von Kooperationsprozessen. (Sprecher: Prof. Bernd Bertsche, Stuttgart)

Nähere Informationen erteilt Dr. Klaus Wehrberger (Leiter der Gruppe Sonderforschungsbereiche), Tel. 0228/885-2355, E-Mail: Klaus.Wehrberger@dfg.de.

Media Contact

Dr. Eva-Maria Streier idw

Weitere Informationen:

http://www.dfg.de http://www.dfg.de/sfb/

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