Freies Schreiben auch für Kinder mit Schwierigkeiten

Langsame Lerner und Kinder mit ungünstigen Voraussetzungen verlieren oft schon in den ersten Schulmonaten den Anschluss in ihrer Klasse. In einem Kooperationsprojekt der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd und des Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) der Universität Ulm wurde ein besonderes Konzept zur Lese- und Schreibförderung von Erstklässlern eingesetzt. Es soll verhindern, dass Kinder mit Rechtschreibschwierigkeiten frühzeitig im Unterricht scheitern.

Oft beschränkt sich Förderung darauf, einzelne Fertigkeiten wie die Buchstabenkenntnis oder den Wortschatz der Kinder zu trainieren. Dr. Erika Brinkmann, Professorin für Deutsche Sprache an der PH, und ihr Fach-Kollege Prof. Dr. Manfred Wespel gehen einen anderen Weg: „Wir knüpfen an den persönlichen Interessen der Kinder an, suchen mit ihnen einfach zu lesende Bücher zu ihrem Thema, lesen ihnen vor und regen sie an, selbstständig zu schreiben. Dadurch sollen sie vor allem Freude am Lesen und Schreiben entwickeln.“ Auf diese Weise gewinnen die Kinder grundlegende Einsichten in den Aufbau und in den Nutzen von Schriftsprache, die als Basis für die weitere orthografische Entwicklung notwendig sind. Die Fehler, die sie bei ihren Schreibversuchen machen, gehören zum Lernprozess in dieser Phase dazu und richten keinen Schaden an, wie viele internationale Studien belegen. Allerdings wird immer wieder behauptet, nur Kinder aus schriftnahem Milieu profitierten vom freien Schreiben und Lesen. Dies bestreiten die Fachleute aus Schwäbisch Gmünd nachdrücklich und können dies nun auch mit der vorliegenden Untersuchung belegen.

In der gemeinsamen Studie von PH Gmünd und ZNL Ulm wurde untersucht, wie sich die Rechtschreibleistungen von Kindern mit Problemen in diesem Bereich durch die Förderung verändern. Ein Drittel der Kinder hatte eine andere Muttersprache als Deutsch. Obwohl die Kinder über einen Zeitraum von drei Monaten nur einmal pro Woche gefördert wurden, konnten sie einen deutlich höheren Lernfortschritt erzielen als Kinder einer nicht geförderten Vergleichsgruppe. Nach der Förderung hatten zwar immer noch einige Kinder Schwierigkeiten, aber ihr Anteil wurde von 20 auf 8 Kinder verringert. Nach Abschluss dieser ersten Projektphase wechselte die Zuordnung der Gruppen: Jetzt wurden nur die Kinder der Vergleichsgruppe gefördert – und dieses Mal machten diese die größeren Fortschritte. Dies zeigt, dass der gewählte Förderansatz sich positiv auf die Rechtschreibfähigkeiten von Kindern mit Rechtschreibschwierigkeiten auswirkt.

Rüdiger-Philipp Rackwitz, ASTA-Vorsitzender an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd, hat mit insgesamt weiteren 17 Studierenden selbst in dem Projekt mitgearbeitet: „Wir Studierende haben aus der Förderarbeit auch viel Gewinn für unsere Ausbildung ziehen können. Zu sehen, wie intensiv sich so genannte ’lernschwache’ Kinder auf die Lese- und Schreibangebote eingelassen haben, ist etwas ganz anderes, als die neuen Konzepte nur im Seminar vorgestellt zu bekommen. Mehrere von uns schreiben auch ihre Examensarbeiten über das Projekt.“ Manfred Wespel hat die Studierenden während der Förderung betreut. Er wünscht sich, dass der Spracherfahrungsansatz auch im normalen Unterricht stärkere Verbreitung findet: „Im Grunde steht das alles schon so im neuen Bildungsplan. Aber im Unterrichtsalltag ist das freie Schreiben und Lesen noch nicht so sehr verbreitet.“ Seine Kollegin Erika Brinkmann, die die „Ideenkiste Schriftsprache“ entwickelt hat, mit der im Projekt schwerpunktmäßig gearbeitet wurde, kann von großen Erfolgen mit diesem Ansatz auch aus einer anderen Region berichten: „Seit über zehn Jahren bilde ich nach diesem Konzept mit Kollegen aus Gmünd und Siegen Multiplikatoren und Lehrer in Südtirol aus. In der ersten Lesestudie 1991 lag Südtirol noch im internationalen Mittelfeld. Bei PISA-2003 hat die Region sogar besser abgeschnitten als der PISA-Spitzenreiter Finnland. Sicher sind noch viele andere Faktoren in Südtirol für diesen Erfolg ausschlaggebend, dennoch zeigt sich auch hier das hohe Potenzial des Spracherfahrungsansatzes für die Schriftsprachentwicklung der Kinder.“

Weitere Informationen: Prof. Dr. Erika Brinkmann, Telefon: 07171-983214, e-mail: erika.brinkmann@ph-gmuend.de

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Dr. Monika Becker idw

Weitere Informationen:

http://www.ph-gmuend.de

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