Modellstudiengang Medizin: Der Patient steht im Mittelpunkt

Exzellente Forschungergebnisse der MHH fließen in den Studentenunterricht ein

Der Startschuss fällt am 17. Oktober 2005: An diesem Tag beginnt in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) eine völlig neue Ärzteausbildung. Sämtliche 270 Studierende des neuen Jahrgangs werden dann den Modellstudiengang HannibaL belegen, den Hannoverschen, integrierten, berufsorientierten und adaptiven Lehrplan. „Mit diesem Modellstudiengang nach anglo-amerikanischem Vorbild wird die MHH in die Elite der patientenorientierten Medizinstudiengänge in Deutschland aufsteigen“, sagt Lutz Stratmann, Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kultur. MHH-Präsident Professor Dr. Dieter Bitter-Suermann ergänzt: „Damit setzen wir erfolgreich die 2003 begonnene Neuordnung des Medizinstudiums in der MHH fort.“ Vor zwei Jahren hatte die Hochschule in einem ersten Schritt die klinische Ausbildung ab dem dritten Studienjahr reformiert.

Die Studienkommission unter der Leitung des MHH-Studiendekans für Medizin, Professor Dr. Hermann Haller, hat auf dieser Grundlage einen Modellstudiengang entwickelt. Die Initiative und wesentliche Ideen kamen damals von Studierenden, die sich seitdem neben Dozentinnen und Dozenten in der Studienkommission stark engagierten, um ihr Studium zu optimieren. „Der Unterricht wird deutlich praxisorientierter und bezieht viel stärker Patienten mit ein“, sagt Philip Bintaro, MHH-Student im vierten Studienjahr. „Wir wollen erreichen, dass die Studierenden mindestens 100 Patienten ausführlich gesprochen und untersucht haben, bevor sie das Staatsexamen ablegen“, sagt Professor Haller. Auch die exzellente Forschung der Hochschule soll in den Unterricht einfließen – bei den Drittmitteln ist die MHH deutschlandweit die Nummer eins aller medizinischen Fakultäten.

Das sind wesentliche Merkmale des Modellstudiengangs Medizin:

Unterricht in kleineren Gruppen – die Tertiale

Der neue Lehrplan sieht pro Jahr drei Abschnitte vor, die so genannten Tertiale: Sie laufen in den regulären Semesterzeiten jeweils über zehn Wochen und bieten zeitversetzt drei Mal die gleichen strukturierten Inhalte, die Module, an – von Oktober bis Dezember, von Januar bis März und von April bis Juli. Die Gesamtzahl der Studierenden von 270 pro Studienjahr wird ebenfalls dreigeteilt – so sind nur 90 Studierende in einem Tertial. Ein Beispiel: Hat Gruppe 1 das Modul „Innere Medizin“ im ersten Tertial, wird Gruppe 2 im zweiten Tertial darin unterrichtet und Gruppe 3 im dritten Tertial. „Dank der kleineren Gruppen können wir die Studierenden deutlich besser vormittags im Hörsaal unterrichten und nachmittags auf der Station begleiten“, sagt Professor Haller.

Die Patienten im Mittelpunkt – Untersuchungen werden in einem Buch dokumentiert

Stärker noch als andere Modellstudiengänge stellt „HannibaL“ die Patienten in den Mittelpunkt des Studiums. Ab der zweiten Woche haben die Studierenden regelmäßigen Kontakt mit Patienten, um beispielsweise die Folgen von biochemischen und physiologischen Veränderungen konkreten Krankheiten zuordnen zu können. Im zweiten Studienjahr werden sie erstmals in den Stationsablauf eingebunden und ab dem dritten Studienjahr treten sie intensiv in Kontakt mit den Patienten. „Wir möchten erreichen, dass die Studierenden bis zum abschließenden Staatsexamen mindestens 100 Patienten gesehen haben. Genauer: Sie sollen ein ausführliches ärztliches Gespräch (Anamnese) führen, die Patienten körperlich untersuchen, eine Verdachtsdiagnose formulieren, die weiteren Untersuchungsschritte vorschlagen und eine mögliche Therapie. Die Studierenden dokumentieren dies dann in einem roten Patientenbuch“, sagt Professor Haller. Während der Tertiale ist diese große Zahl an Patienten nicht zu schaffen. „Hier helfen Praktika in der studienfreien Zeit, die Zahl von 100 zu untersuchenden Patienten zu erreichen. Diese Praktika werden deshalb stärker als anderswo mit der Pflichtlehre verzahnt“, sagt Professor Haller. Ein standardisierter Aufnahmebogen soll den angehenden Ärztinnen und Ärzten helfen, strukturiert vorzugehen und nichts zu vergessen. Zudem lernen sie in einem erweiterten Untersuchungskursus, den Modulen „Diagnostische Methoden I und II“, die Patienten richtig und vollständig zu untersuchen. All dies sorgt für mehr Praxisbezug in der Medizinausbildung schon vor Beginn des Praktischen Jahres und garantiert eine effizientere klinische Ausbildung, sagt Professor Haller.

Vertieftes Lernen durch die Lernspirale

Inhalte aus der klinischen Praxis während des theoretischen Unterrichts zu Studiumsbeginn, theoretische Grundlagen während der klinischen Ausbildung für Fortgeschrittene – so ließe sich die Lernspirale von „HannibaL“ beschreiben. „Die Studieninhalte werden in den einzelnen Tertialen immer wieder aufgegriffen, unter verschiedenen Aspekten wiederholt und so vertieft“, sagt Professor Haller. Ein wichtiges Beispiel dafür ist das Modul „Untersuchungsmethoden“: Hier lernen die Studierenden die Techniken der körperlichen Untersuchung zusammen mit den physiologischen Grundlagen. Andererseits soll bei der Besprechung einzelner Erkrankungen (wie Zuckerkrankheit) im dritten Studienjahr auch die Physiologie (wie der normale Blutzucker-Stoffwechsel) wieder mit einfließen. Dies sorgt auch dafür, dass Theorie und Praxis stark vernetzt sind und die Studierenden verstehen, warum die theoretischen Grundlagen für das Verständnis von Krankheiten so immens wichtig sind. „Auf diese Weise können wir die exzellente Forschung der MHH auf dem Gebiet der molekularen Medizin besser in den Unterricht mit einbringen“, sagt Professor Haller. Dies nütze langfristig auch den Patienten, weil ihre Ärzte später besser auf den Beruf vorbereitet sind. „Wie intensiv wir dabei die 53 Lehrkrankenhäuser und 176 Lehrpraxen der MHH in dieses Lehrkonzept einbinden können, werden die nächsten Jahre zeigen“, sagt Privatdozent Dr. Volkhard Fischer, Leiter des Referats Studium und Lehre der MHH.

Sportlicher Wettbewerb – die kontinuierliche Leistungsevaluation

Die gute Nachricht für Studierende: Die staatliche Zwischenprüfung des Physikums fällt weg. Dafür wird es eine kontinuierliche Leistungsevaluation geben. Im Klartext: In den ersten sieben Wochen finden benotete Prüfungen am Anfang jeder Woche über die Inhalte der Vorwoche statt, danach wird es regelmäßige mündliche oder schriftliche Prüfungen am Ende jedes Moduls geben – wie in einem sportlichen Trainingscampus. „Wir möchten erreichen, dass die Prüfungsthemen in enger Beziehung zum gerade gelernten Stoff stehen. Das ist bei den bisherigen Prüfungen nicht immer der Fall“, sagt Professor Haller. Langfristig möchte er durch Videos und Fotos angereicherte elektronische Prüfungen an Stelle schriftlicher Prüfungen im Hörsaal einführen. Zusammen mit praktischen Prüfungen lasse sich so besser die Eignung für den Arztberuf einschätzen. Erste Planungen hierzu laufen. Nach dem Praktischen Jahr, dem sechsten Studienjahr, folgt dann das große Staatsexamen, das wie bisher das Studium abschließt.

Ein Wechsel zu anderen medizinischen Fakultäten ist möglich

Trotz dieser sehr spezialisierten Ausbildung in Hannover können Studierende auf Wunsch während des Studiums an eine andere Universität wechseln. „Voraussetzung ist, dass an der aufnehmenden Hochschule ein Platz im gleichen Studienjahr frei ist. Wegen der bundesweiten Zulassungs-Beschränkungen ist es aber einfacher, für ein Jahr an einer Universität im europäischen Ausland zu studieren“, sagt Dr. Fischer. „Außerdem sind solche Studienortwechsel häufig mit größeren Verzögerungen des Studienabschlusses verbunden als ein Auslandsaufenthalt.“

Gute Lehre soll künftig stärker honoriert werden

Derzeit engagieren sich die einzelnen MHH-Abteilungen unterschiedlich stark im Modellstudiengang. „Um den Anreiz zu exzellenter Lehre zu erhöhen, möchten wir in den kommenden Jahren eine leistungsorientierte Mittelvergabe auch für die Lehre einführen. Für die Forschung haben wir dies bereits im vergangenen Jahr umgesetzt“, sagt Professor Dr. Dieter Bitter-Suermann. Das bedeutet: Schneidet eine Abteilung in der regelmäßigen Bewertung durch die Studierenden, der Lehrevaluation, und anderen Kriterien besonders gut ab, erhält sie einen höheren Anteil an Finanzmitteln des Landes. Auch die künftigen Einnahmen aus Studiengebühren sollen ausschließlich in eine bessere Lehre fließen.

Weitere Informationen geben Ihnen gern

Professor Dr. Hermann Haller,
MHH-Studiendekan für Humanmedizin,
Telefon: (0511) 532-6319,
E-Mail: nephrologie@mh-hannover.de,

Privatdozent Dr. Volkhard Fischer,
Leiter des Referats Studium und Lehre der MHH,
Telefon: (0511) 532-6015,
E-Mail: fischer.volkhard@mh-hannover.de

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Dr. Arnd Schweitzer idw

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