Ergebnisse der 2. Europäischen Konferenz über Textilien und Haut

Antimikrobielle Textilien – medizinische Aspekte, Sicherheit, Marketing

Rund 180 Vertreter der Textilindustrie, des Handels, des Gesundheitswesens und der öffentlichen Hand informierten sich am 30. September und 1. Oktober 2004 im Rahmen der 2. Europäischen Konferenz zu Textilien und Haut in Stuttgart über den wachsenden Markt bioaktiv ausgerüsteter Textilien. Diese kommen nicht nur im technischen Bereich und im Gesundheitswesen verstärkt zum Einsatz, sondern werden auch in der Freizeit und beim Sport immer beliebter. Entsprechend breit gefächert sind auch die Gründe für antimikrobielle Ausrüstungen bei Textilien. Diese reichen von der Vermeidung eines Verlustes der Gebrauchstüchtigkeit durch mikrobiellen Faserabbau und die Verringerung der Geruchsbildung durch mikrobiellen Abbau bis hin zur Beschränkung des mikrobiellen Befalls auf ein erträgliches Maß und die Verhinderung der Übertragung und Ausbreitung von Krankheitserregern im Rahmen der Infektionsprävention.

Gemeinsamer Veranstalter des Kongresses „Haut und Textilien“ waren das Forschungszentrum Hohensteiner Institute, Bönnigheim, die Hautklinik der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie das Deutsche Textilforschungszentrum Nordwest e. V., Krefeld. Diese Forschungseinrichtungen haben sich im April 2002 zum „Kompetenzzentrum Textilien und Haut“ zusammengeschlossen und arbeiten auf interdisziplinärer Basis an textilen Innovationen, mit denen sich die Diagnose und Therapie von Hautkrankheiten künftig verbessern lassen.

Im Mittelpunkt der ersten Vortragssektion stand in Stuttgart die Marktbedeutung antimikrobieller Textilien. Diese belegte Dr. Ullrich Girrbach von der Trevira GmbH in Hattersheim (D) anhand umfassender Marktzahlen: Die USA, Europa und Japan lassen hier die größte Nachfrage erkennen. Girrbach zeigte zudem den Stellenwert antimikrobieller Textilien in den verschiedenen Produktsparten wie Active Sportswear, Funktionsunterwäsche und Heimtextilien auf.

Dr. Helmut Mucha von den Hohensteiner Instituten in Bönnigheim (D) ergänzte die Ausführungen durch eine Übersicht auf dem Markt befindlicher antimikrobiell ausgerüsteter Fasern und deren verschiedenartige Wirkprinzipien. Außerdem stellte er die verschiedenartigen Anwendungsbereiche antimikrobieller Textilien dar und die damit verbundene Nutzenauslobung durch die Hersteller.

Die zweite Vortragssektion des Kongresses befasste sich mit den medizinischen Aspekten antimikrobieller Textilien. Prof. Dr. Uwe Wollina von der Hautklinik des Krankenhauses Dresden-Friedrichstadt (D) führte die Kongressteilnehmer in die Wechselwirkung zwischen Textil und Haut sowie die Grundfunktionen der Haut ein. Er zeigte zudem, wie dieses Grenzorgan des menschlichen Körpers seine Schutzfunktion erfüllt und wie deren Störung durch den Körper abgewehrt werden. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, dass Textilien die Hautfunktion generell unterstützen und antimikrobielle Materialien bei krankhaften Veränderungen unter bestimmten Voraussetzungen eine gezielte Hilfe sein können.

Einen neues silberbeschichtetes Fasersystem untersuchte die Klinik für Dermatologie der Friedrich-Schiller-Universität in Jena (D) hinsichtlich seines mykotischen und antibakteriellen Wirkung. Dr. Uta-Christina Hipler präsentierte die Ergebnisse der Untersuchungen, die sowohl in vitro, d. h. im Reagenzglas, wie auch am lebenden Menschen (in vivo) durchgeführt wurden und die Unbedenklichkeit der Faser im Hinblick auf mögliche Allergien oder Hautirritationen wissenschaftlich belegen.

Die Risikoabschätzung bei Silberkomponenten stand im Mittelpunkt des Vortrages von Dr. Alan B. G. Lansdown von der School of Medicine in London (UK). Lansdown erläuterte die Wirkungsweise von Silber als antimikrobiellem Wirkstoff, der bereits seit Hunderten von Jahren angewendet wird. Auf besonderes Interesse bei den Kongressteilnehmern stießen u. a. seine langjährigen Erfahrungen beim Einsatz silberhaltiger Wundverbände, bei denen diese ein breites und effizientes Wirkungsspektrum gegenüber pathogenen Keimen bewiesen haben und das ohne toxische Auswirkungen auf die Körper der behandelten Patienten.

Juristische Aspekte standen im Mittelpunkt der dritten Vortragssektion, die von Prof. Dr. rer. nat. Thomas Platzek vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin (D) eröffnet wurde. In seinem Vortrag führte Platzek die Anwesenden zunächst in die Aufgabenstellung und Arbeitsweise seiner Dienststelle ein. Zur Bewertung einer möglichen Exposition von Chemikalien aus Bekleidungstextilien sind dort in den letzten Jahren verschiedene Arbeitsgruppen mit dem Ziel tätig gewesen, sowohl den Verbraucherschutz als auch die Rechtssicherheit auf Herstellerseite zu verbessern. Zum Thema antimikrobielle Textilien wird es in Kürze ein erstes Arbeitspapier geben, das u. a. Empfehlungen für Herstellung und Handhabung beinhaltet.

Die rechtlichen Regelungen zu Biozid-Produkten auf deutscher und europäischer Ebene stellte Susanne Donner vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in Bonn (D) vor. Neben den rechtlichen Rahmenbedingungen zeigte sie anhand von Beispielen auf, in welchen Fällen Wirkstoffe und Produkte registriert bzw. zugelassen werden müssen. Bei antimikrobiellen Textilien ist in diesem Zusammenhang die bestimmungsgemäße Verwendung des Produktes entscheidend, d. h. also die Frage, ob der Wirkstoff primär am Produkt wirkt oder freigesetzt werden soll. Da die bioziden Wirkstoffe bei antimikrobiellen Textilien i.d.R. nicht unmittelbar freigesetzt werden, sind sie vom Zulassungsverfahren nicht betroffen.

Dr. Mark Wiencek vom Textil- und Chemikalienhersteller Milliken in Spartanburg (USA) stellte demgegenüber die Biozid-Regelungen in den USA dar. Die Behörden EPA (Environmental Protection Agency) und FDA (Food and Drug Administration) haben hier klare Leitstrukturen entwickelt, an denen Hersteller sich orientieren können. Wiencek machte deutlich, dass die EU-Regelungen zahlreiche Parallelen zur US-Praxis aufweisen: Auch in der USA ist es entscheidend, wo der biozide Wirkstoff primär aktiv ist – im Produkt oder außerhalb. Zusätzlich spielt die Frage ein Rolle, ob der private Bereich oder die öffentliche Gesundheit durch den Einsatz biozider Substanzen tangiert wird.

In einer vierten Vortragssektion beschäftigte sich der Kongress mit den Wirkprinzipien und Wirknachweisen antimikrobieller Textilien. Dr. Dirk Höfer stellte als Leiter des Kompetenzzentrums Medizintextilien an den Hohensteiner Instituten in Bönnigheim (D) die verschiedenen Aspekte der biologischen Sicherheitsprüfungen für antimikrobielle Textilien dar. Mit Hilfe von Haut-Testsystemen lässt sich sowohl der Nachweis aus dem Textil herauslösbarer zellgiftiger Substanzen (Zytotoxizität) führen, wie auch ein mögliches Entzündungspotenzial ermitteln, das beim Tragen eines Textiles zu Hautirritationen führen kann. In Verbindung mit wissenschaftlich fundierten Wirksamkeitsnachweisen bieten die von den Hohensteiner Instituten angebotenen Untersuchungen den Herstellern und Anbietern antimikrobiell ausgerüsteter Textilien die Möglichkeit, sowohl die Wechselwirkung zwischen Textil und Haut wie auch die Nutzen- und Gefahrenpotenziale wissenschaftlich exakt zu erkennen und zu erfassen.

Eine von den Hohensteiner Instituten in Bönnigheim (D), dem Institut Centexbel in Hervé (B) und Centrocot in Busto Arsizio (I) gemeinsam entwickelte Methodik zum Wirksamkeitsnachweis bei antimikrobiellen Textilien stellten Dr. Helmut Mucha (Hohensteiner Institute) und Yvette Rogister (Centexbel) vor. Ziel des Testsystems ist es, eine bessere Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu erreichen, was bisher aufgrund unterschiedlicher technischer Ausrüstung und Prüfmethoden nur bedingt der Fall ist. Für die Zukunft soll damit auch die gemeinsame Zertifizierung von bioaktiven Textilien möglich werden. Zu diesem Zweck hat die Arbeitsgruppe aus Spezialisten der drei Institute die Vorgaben japanischen Norm JIS L 1902:1998 und JIS L 1902:2002 modifiziert. So wird die Nährstoffzufuhr für die verwendeten Bakterien reduziert, um die Testergebnisse nicht durch ein künstlich stimuliertes Bakterienwachstum zu verfälschen. Eine weitere Neuerung im Testsystem ist eine differenzierte Beurteilung zwischen allgemeiner und spezifischer antimikrobieller Aktivität. Die allgemeine Aktivität bezieht sich immer auf das gleiche Kontrollmaterial (nicht ausgerüstetes Polyester), während sich die spezifische Aktivität auf ein Bezugsmaterial bezieht, das dem Testmaterial in struktureller und chemischer Hinsicht gleicht, jedoch nicht antimikrobiell ausgerüstet ist.

Dr. H.-J. Buschmann vom Deutschen Textilforschungszentrum Nord-West e.V. in Krefeld (D) beschrieb in seinem abschließenden Vortrag Strategien über die Modifikation textiler Oberflächen mit Cyclodextrinen, Biopolymeren und organisch/anorganischen Hybridsystemen, welche zum Kontakt mit der Haut geeignet sind. Solcherart modifizierte Textilien können innerhalb des dermatologischen Bereichs als Therapie- und Diagnosesysteme vor allem für großflächige Anwendungen eingesetzt werden.

Zum Abschluss des Kongresses fasste der Leiter der Hohensteiner Institute, Dr. Stefan Mecheels, den Inhalt der Vorträge und die zum Teil sehr lebhaft geführte Diskussionen wie folgt zusammen:

– Der Kongress hat gezeigt, dass antimikrobielle Textilien aus dermatologischer Sicht durchaus eine nützliche Ergänzung zu bestehenden Therapieformen sein können. Das gilt z. B. bei Neurodermitis oder anderen Hautkrankheiten, bei denen die Hautflora des Menschen aus irgendwelchen Gründen aus dem Gleichgewicht geraten ist.

– Die Anwendungsmöglichkeiten von antimikrobiellen Textilien reichen auch in nichtmedizinische Anwendungsgebiete hinein. Es muss die Aufgabe der Hersteller sein, im Sinne einer Nutzen-/Risikoabschätzung die Vorteile antimikrobieller Textilien bei Menschen mit gesunder Haut noch deutlicher zu vermitteln.

– Zielsetzung ist es, den antimikrobiellen Wirkstoff so immobil wie möglich auf der Faser zu verankern. Die Wirksamkeit des Textils soll so primär in sich selbst und im Zusammenspiel mit dem Körperschweiß erfolgen, welcher die Bakterien in das Textil einträgt, wo sie dann abgetötet werden. Die antimikrobiellen Wirkstoffe werden dabei durch das Tragen oder Waschen nur in minimalen Dosen herausgelöst. Viele der heutigen modernen Konzepte antimikrobieller Textilien sind bereits so konzipiert. Dies ist ein essentieller Unterschied zum Kosmetikum, welches direkt auf der Haut wirkt und die Hautflora (z. B. Deodorant) nachhaltig beeinflusst.

– Testsysteme sind etabliert, welche die Wirksamkeit von antimikrobiellen Textilien bewertbar und vergleichbar machen.

– Generell ist auch die Empfehlung zum Ausdruck gekommen, die Produktentwicklung durch entsprechende Sicherheitsprüfungen im Labor zu ergänzen, um nicht nur die Wirksamkeit des Produkts zu bewerten, sondern auch unerwünschte sekundäre Effekte wie Zytotoxizität, allergenes Potential und irritative Wirkung ausschließen zu können.

Zusätzlich sind Forschungsgelder ebenso wie internationale Kooperationen erforderlich, um den Wissensstand weiter zu erhöhen und Wissenslücken schließen zu können, wobei die Zusammenarbeit zwischen Dermatologie, Biologie und Textilchemie intensiviert werden muss. Diese Konferenz über „Haut und Textilien“ war sicherlich ein wichtiger Anfang dazu.

Die öffentliche Diskussion, insbesondere in Deutschland, wird sehr kontrovers geführt, weil eben nicht überall genügend fundierte Kenntnisse über antimikrobielle Textilien vorhanden sind. Die Informationen und Botschaften müssen an die späteren Nutzer der Produkte herangebracht werden, damit jeder selbst entscheiden kann, ob der ein antimikrobielles Produkt kaufen möchte oder nicht.

Die Zusammenarbeit im internationalen Bereich sollte auch auf die Schaffung eines europäischen Labels abzielen, um die Informationen für den Anwender transparent zu gestalten. Auch deshalb, weil wir uns im Grunde genommen einig waren, dass antimikrobielle Textilien als solche offen deklariert werden sollten. Was heute auch schon geschieht, da ja von Herstellerseite ein Mehrwert dargestellt werden möchte.

Der Tagungsband mit allen Vortragsunterlagen kann zum Preis von 100 Euro zzgl. MwSt. bei den Hohensteiner Instituten unter der Telefon-Nummer
+49 7143 / 271 701 oder per E-Mail an w.weiss@hohenstein.de. bestellt werden.

Media Contact

Rose-Marie Riedl idw

Weitere Informationen:

http://www.hohenstein.de

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