Goethe verbindet


VolkswagenStiftung stellt Universität Hannover für Gastdozenturen
afrikanischer Germanisten 131.000 Mark zur Verfügung

Ausländische Wissenschaftler meiden Aussagen ihrer deutschen Kollegen zufolge aus Angst vor rechtsextremer Gewalt zunehmend Forschungsaufenthalte in diesem Land. Einladungen würden vermehrt abgelehnt, hieß es am 20. Juli im Berliner Tagesspiegel in einer Erklärung von Leitern und Mitarbeitern wissenschaftlicher Institute. Immer schwieriger werde es, ausländische Kollegen, Post-Doktoranden und Studierende hierher zu locken. Dabei werden deren Kompetenzen und Qualifikationen dringend benötigt. Denn mehr als alle anderen Arbeitsgebiete ist Wissenschaft international. Forscher veröffentlichen ihre Ergebnisse in weltweit gelesenen Fachjournalen, fahren zu Tagungen jenseits ihrer nationalen Grenzen und besuchen sich gegenseitig an den Stätten ihrer Arbeit.

Wird dieses Prinzip ausgehebelt, verkümmert die Wissenschaft. Hier einen Kontrapunkt zu setzen, ist eines der wesentlichen Motive der Universität Hannover und der VolkswagenStiftung, gemeinsam die „Georg Forster-Professur“ einzurichten. Dahinter verbirgt sich Wegweisendes: Mit Beginn des Wintersemesters 2000/2001 halten – verteilt auf einen Zeitraum von drei Jahren – nacheinander sechs schwarzafrikanische Germanisten Gastvorlesungen am Seminar für Deutsche Literatur und Sprache an der Universität Hannover. Die Besucher stammen von der Elfenbeinküste, aus Kamerun, Togo und dem Senegal. Initiator ist der hannoversche Wissenschaftler Professor Dr. Leo Kreutzer, dem die VolkswagenStiftung für sein Vorhaben insgesamt 131.000 Mark zur Verfügung stellt.

Den Auftakt macht am 7. November Dr. habil. Kokora Michel Gnéba von der Universität Abidjan der Elfenbeinküste (die geplante Reihenfolge der weiteren fünf Gastdozenturen finden Sie am Ende dieses Textes). Der ivorische Wissenschaftler ist nicht nur ein bekannter Germanist in seinem Land, sondern dort seit langem politisch aktiv. Mehrere Jahre war er im ivorischen Ministerium für Hochschulwesen und Forschung für die Universitäten seines Landes zuständig. Im Anschluss an die Pressekonferenz hält er um 16.30 Uhr seine Antrittsvorlesung zum Thema „Die Auseinandersetzung zwischen Georg Forster und Immanuel Kant über die Existenz von Menschenrassen“. Der ivorische Germanist liest dort einschlägige Texte aus dem Blickwinkel eines „Negers“, wie die Bewohner des „schwarzen Kontinents“ in diesen Texten mehr oder weniger wohlwollend genannt werden. In seinen Vorlesungen im Laufe des Wintersemesters setzt sich Gnéba dann mit dem Thema „Goethe als Entwicklungshelfer“ auseinander.
Sinn und Zweck der Georg Forster-Professur ist es, dass Forscher wie Studierende vor dem Hintergrund gemeinsamen Wissens – eben der Germanistik – ihnen bekannte Inhalte neu entdecken, eine neue Zugehens- und Betrachtungsweise entwickeln. Dabei sollen die Beteiligten auf deutscher Seite von den Wissenskonzepten der afrikanischen Dozenten – die aus verschiedenen Regionen und Gesellschaften stammen – profitieren. „Georg Forster als deutscher Schriftsteller, Gelehrter und Weltumsegler des 18. Jahrhunderts steht dabei für einen umfassenden interkulturellen Austausch. Seine Welterfahrung symbolisiert die Welterfahrung unserer afrikanischen Kolleginnen und Kollegen“, meint Leo Kreutzer.

Bei den sechs afrikanischen Gastwissenschaftlern handelt es sich durchweg um „alte Bekannte“ der Universität Hannover. Sie alle haben sich am dortigen Seminar für Deutsche Literatur und Sprache habilitiert, vier von ihnen als Stipendiaten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes beziehungsweise der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Ihre nun bevorstehenden Semester an der Universität Hannover beginnen die afrikanischen Germanisten jeweils mit einer Antrittsvorlesung. Zusätzlich zu ihrer wöchentlichen Vorlesung halten sie außerdem ein Kolloquium ab; bieten darüber hinaus entsprechende Angebote speziell für Doktoranden an. Die Antrittsvorlesungen sollen im Anschluss gesammelt veröffentlicht werden.

Für den Goethe-Experten Leo Kreutzer begann die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit seinen Kollegen vor vielen Jahren mit einer Afrikareise: „Da erzählt einem einer in perfektem Deutsch, was er aus der deutschen Dichtung für sich und sein Land gewinnen kann, und man ist sprachlos.“ Für Kreutzer war damit ein neuer Goethe geboren: der interkulturelle. Und von da an beschäftigte er sich mit der Frage, wie man die eigene Literatur durch die Brille fremder Länder, Kulturen und Menschen neu entdecken kann. Eine Herangehensweise, die perfekt passt zur Förderinitiative der VolkswagenStiftung „Konstruktionen des Fremden und des Eigenen:
Prozesse interkultureller Abgrenzung, Vermittlung und Identitätsbildung“, innerhalb der die Gastaufenthalte der afrikanischen Germanisten angesiedelt sind. Betreut wird das Programm in der VolkswagenStiftung von
Dr. Hiltgund Jehle (siehe auch Hinweis im nebenstehenden Kasten).

„Wir müssen als wissenschaftsfördernde Institution unseren Teil dazu beitragen, dass ausländische Wissenschaftler sich in unserem Land und speziell an den Forschungseinrichtungen wohl fühlen“, sagt Dr. Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung. Eine GreenCard allein reicht eben nicht. Die Menschen müssen auch von Herzen willkommen sein. Genau dazu tragen Universität Hannover und VolkswagenStiftung gemeinsam bei.

Bitte beachten Sie die Liste der Gastdozenten auf der folgenden Seite:
Reihenfolge der Gastdozenturen:


Wintersemester 2000/2001:

Dr. habil. Kokora Michel Gnéba, Universität Abidjan, Elfenbeinküste
(Habilitation 1992 mit einer Studie „Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen“. Goethe und die Goethezeit im frankophonen Schwarzafrika. Centaurus Verlag Pfaffenweiler 1997)

Sommersemester 2001, Wintersemester 2001/2002 und
Sommersemester 2002 (genaue Reihenfolge steht noch nicht fest):

Dr. habil. Joseph Gomsu, Ecole Normale Supérieure, Kamerun (Habilitation 1996 mit einer Studie „Wohlfeile Nächstenliebe? Literarische und publizistische Annäherungsweisen der westdeutschen Linken an die Dritte Welt“. Westdeutscher Verlag Opladen 1998)

Prof. Dr. Norbert Ndong, Ecole Normale Supérieure Yaoundé, Kamerun (Habilitation 1991 mit einer Studie „Entwicklung, Interkulturalität und Literatur. Überlegungen zu einer afrikanischen Germanistik als interkultureller Literaturwissenschaft“. Iudicium Verlag München 1993)

Prof. Dr. David Simo, Universität Yaoundé, Kamerun (Habilitation 1991 mit einer Studie „Interkulturalität und ästhetische Erfahrung“. Metzler Verlag Stuttgart und Weimar 1993)

Wintersemester 2002/2003:

Dr. Serge Glitho (Bénin), Universität Lomé, Togo (Habilitation 1995 mit einer „these d’état“: „Schule und Eigensinn. Schulkonflikte in afrikanischen und deutschsprachigen Romanen“. Centaurus Verlag Pfaffenweiler 1998)

Sommersemester 2003:

Dr. Alioune Sow (Senegal), Universität Yaoundé, Kamerun (Promotion in Hannover mit einer Dissertation „Germanistik als Entwicklungs-Wissenschaft? Überlegungen zu einer Literaturwissenschaft des Faches ’Deutsch als Fremdsprache’ in Afrika“; Abschluss des Habilitationsverfahrens voraussichtlich Ende 2000)


Der Text der Presseinformation und ein Foto von Dr. Gnéba stehen im Internet zur Verfügung unter http://www.volkswagenstiftung.de/presse00/p071100

Weitere Informationen finden Sie im WWW:

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Monika Brickwedde idw

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