Stellungnahme der Tierärztlichen Hochschule Hannover zu Massenschlachtungen von Rindern


Die Ausbreitung der bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE) im kontinentalen Europa während der vergangenen Monate hat die Verbraucher verunsichert und den Absatz von Rindfleisch in vielen Regionen mehr als halbiert. Seitens der Europäischen Kommission wurde daraufhin eine Verordnung erlassen, die zur Marktentlastung Massenschlachtungen von Rindern vorsieht. Allein in Deutschland ist die Tötung von 400.000 über 30 Monate alten Rindern zu diesem Zwecke bis zum 30. Juni 2001 vorgesehen. Diese Massentötungen stoßen in der Öffentlichkeit zu-nehmend auf Kritik. Gleichzeitig findet aus seuchenhygienischen Gründen zur Bekämpfung der BSE die Tötung ganzer Tierbestände statt, in denen die Erkrankung festgestellt wurde, obwohl meist nur einzelne Tiere von der Erkrankung betroffen sind. Auch hier wird der Ruf nach Alternativen zu der ganze Bestände ausrottenden gegenwärtigen Politik laut, mit denen flexibler und tierschonender vorgegangen werden kann.

Unbestritten steht bei allen Maßnahmen der Schutz des Menschen im Vordergrund. Der Schutz von Leben und Gesundheit des Menschen stellt nach heutiger Rechtsauffassung einen vernünftigen Grund dar, um Tiere zu töten und gegebenenfalls auch vernichten zu dürfen. Ein vernünftiger Grund liegt in ähnlicher Weise auch bei der Bekämpfung von ansteckenden Tierseuchen vor, deren Ausbreitung oft nur durch die sofortige Tötung und Beseitigung aller auffälligen und verdächtigen Tiere verhindert werden kann. Die Maßnahmen dienen der Tierseuchenbekämpfung und dem Schutz der gesunden Tiere vor Erkrankung, Schmerzen, Schäden und Leiden. Ein solches Vorgehen ist gesellschaftlich anerkannt und schließt die erforderliche Güter- und Pflichtenabwägung ein. Unbestritten ist auch die Tiertötung zu Nutzungszwecken wie z.B. der Lebensmittelgewinnung, wenn die Kriterien der Erforderlichkeit und der Angemessenheit erfüllt sind, nicht jedoch allein zur Ersparung von Kosten. Ein Töten allein aus wirtschaftlichen Gründen zur „Marktbereinigung“ kann daher aus tierärztlicher Sicht kein "vernünftiger Grund“ sein. Kann man die Erforderlichkeit zum Schutz des Menschen noch begründen, so erscheint die flächendeckende, undifferenzierte Tötung überwiegend gesunder Tiere unangemessen. Das generelle Argument der Marktbereinigung reicht allein schon deshalb nicht aus, da dann jeder wirtschaftliche Grund die Tötung von Tieren rechtfertigen kann.
Auch das Argument, die Tiere wären zu einem späteren Zeitpunkt ohnehin zu Nutzungszwecken geschlachtet worden, ist nur dann zu akzeptieren, wenn auch jetzt eine vernünftige Verwertung erfolgt.

Die Tötung von Rindern im Rahmen von Marktentlastungsmaßnahmen kann daher allenfalls über eine Einzelfallprüfung erlaubt werden, wobei der Antragsteller gegenüber der zuständigen Behörde nachweisen muss, dass weder eine Abgabe des Tieres zur Schlachtung oder an andere Betriebe, noch anderweitige Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen werden können. Die Abgabe zur Schlachtung oder an andere Betriebe dürfte in der gegenwärtigen Situation bei zunehmend überfüllten Ställen mit sich verschlechternden Haltungsbedingungen kaum möglich sein, so dass sich hier derzeit eine Einzelfallprüfung erübrigt. Geprüft werden kann die Schaffung anderweitiger Unterbringungsmöglichkeiten, wobei allerdings auch die Kosten zu berücksichtigen sind. Liegt die Tötung von über 30 Monate alten Rindern in einer Größenordnung, die der Remontierungsrate des Betriebes entspricht, so kann auch dies zu einer Bejahung der Tötung führen, da die Tiere auch unter üblichen Bedingungen geschlachtet worden wären.

Unabhängig von diesen rechtlichen Überlegungen zu den Marktentlastungsmaßnahmen gebietet das Schutzinteresse des Tieres, dringend über alternative Strategien zur Bekämpfung der BSE nachzudenken, besonders auch mit dem Ziel, die Anzahl der zu tötenden Tiere nach Auftreten eines BSE-Falles in einem Bestand zu verringern. Einen aussichtsreichen Ansatz bietet die Form der sogenannten Kohortenschlachtung, die sich bei der geringen Anzahl der BSE Fälle für Deutschland anbietet.

Nach bisherigen Erfahrungen sind in Deutschland während der vergangenen Monate bei der systematischen Testung von etwa 400.000 Tieren lediglich 49 positive Fälle (Stand: 27.03.2001), entsprechend 0,02 %, bekannt geworden. Von diesen 49 Kühen sind 19 Tiere älter als fünf Jahre, zwei Tiere jünger als drei Jahre, eines 28 Monate alt, und die übrigen Tiere befinden sich im Alter zwischen vier und fünf Jahren. Damit ist, wenn auch nur in bescheidenem Maße, eine für die derzeitige Situation in Deutschland mögliche Risikogruppe offensichtlich.

Diese Erkenntnis sollte genutzt werden, um die in Deutschland zur Marktentlastung vorgesehenen Tiere in den Rahmen einer Tierseuchenbekämpfungsaktion zu stellen und gezielt selektiv vier bis sechs Jahre alte Tiere zur Tötung in Verbindung mit einer Untersuchung im Schnelltestverfahren vorzusehen. Nach Abschluss dieser Maßnahme wären die meisten Tiere der Gruppe mit dem höchsten Risiko aus unseren Herden entfernt und man könnte zu einer Kohortentötung übergehen. Dabei könnte für die deutschen Verhältnisse die Definition der Kohorte so erfolgen, dass alle direkten Verwandten des betroffenen Tieres sowie alle Tiere, die ein Jahr jünger sind als das betroffene Tier, aus der Herde entfernt werden. Die anderen Tiere könnten im Bestand verbleiben und bei weiterer Kontrolle durch systematische Testung untersucht werden. Diese Regelung müsste beinhalten, dass die derzeit praktizierte Maßnahme zur Erkennung und Bekämpfung der BSE unbeschränkt weiter durchgeführt wird.

Unter den oben aufgeführten Vorgaben, die Tötungsmaßnahme in eine Tierseuchenbekämpfungsmaßnahme einzubauen und dadurch eine Bereinigung unserer Herden von der spongiformen Enzephalopathie vorzunehmen, wäre einer von der EU vorgesehenen Tötungsaktion zur Entlastung zuzustimmen. Eine alleinige Tötung zur Marktentlastung bei Vernichtung der anfallenden Tiere ist unseres Er-achtens nach nicht zu verantworten.

Rückfragen bitte an die Autoren, Prof. Dr. Jörg Hartung, Institut für Tierhygiene und Tierschutz, und Prof. Dr. Joachim Pohlenz, Institut für Pathologie, oder an die Pressestelle der Tierärztlichen Hochschule Hannover

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Hubertus Blass idw

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