Falsche Signale gesetzt: RUB-Forscher untersuchen E-Business-Nutzung in der Autozulieferindustrie

Das Bochumer Forscherteam (v. l.): Hellen Tackenberg, Prof. Ludger Pries, Gernot Mühge, Markus Hertwig

Im E-Business-Hype der vergangenen Jahre sind viele falsche Signale gesetzt worden: Unternehmen der Vorzeigebranche im elektronischen Geschäftsverkehr, der Automobilzulieferindustrie, setzten mehr auf kurzfristige Effekte des E-Business als auf ausgereifte betriebswirtschaftliche Konzepte. Das ist ein zentrales Ergebnis des Forschungsprojekts „E-Business in der Automobilzulieferindustrie“ der RUB-Sozialwissenschaftler um Prof. Dr. Ludger Pries. Auf dem „Autokongress“ am 29. und 30. März 2004 stellen die Bochumer Forscher ihre Ergebnisse vor und schließen das Projekt ab. Autoforschung solle aber auch in Zukunft ein Schwerpunkt der Bochumer Sozialwissenschaft sein, sagt Projektmitarbeiterin Hellen Tackenberg. Daher legen die Wissenschaftler am zweiten Tag des Kongresses den Grundstein für langfristige Projekte in einem bundesweiten Netzwerk Automobilforschung.

Umfassender Branchenquerschnitt

Im Oktober 2002 startete das Projekt, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit insgesamt 500.000 Euro. Datenbasis der Forschungsergebnisse ist eine umfassende telefonische Befragung. Gemeinsam mit dem Bielefelder Marktforschungsunternehmen TNS EMNID haben die Bochumer Forscher einen Großteil der deutschen Automobilzulieferer befragt. Die Automobilbranche ist mit knapp 8.000 Unternehmen und etwa 750.000 nach wie vor der Motor der deutschen Wirtschaft: Mit ca. 1.900 abgeschlossenen Telefoninterviews konnten die RUB-Sozialwissenschaftler einen umfassenden Querschnitt durch die Branche erfassen.

Vorzeigebranche des E-Business

Die Automobilzulieferindustrie gilt seit jeher als Vorzeigebranche des E-Business. Die Forschungsergebnisse bestätigen das: bis zu 93 Prozent der Betriebe nutzen das Internet, 40 Prozent sogar als „Rundumnutzer“ mit komplexen Anwendungen im Geschäftsverkehr.

Unterschätzte Wirkung

Ihr „Erfolg“ sei jedoch unterschiedlich, so Gernot Mühge: Unternehmen, die E-Business nur einführen, um Preiseffekte im Einkauf zu erzielen oder weil sie befürchten, den technologischen Anschluss zu verpassen, hätten deutlich verminderte Erfolgsaussichten. „Die Prozesswirkung der neuen Technologien wurde vielerorts unterschätzt. Unternehmen gehen das Risiko ein, dass sie ihre Arbeitsabläufe im nachhinein an die neue Technologie anpassen müssen“, so Mühge Die Untersuchungen der RUB-Forscher zeigen, dass diese Anpassungen dann häufig „chaotisch“ erfolgten. Die Folge: „Der Widerstand bei den Anwendern im Unternehmen ist hoch, die Durchsetzungsfähigkeit der Verantwortlichen gering.“

Betriebsräte außen vor

Auch der „Faktor Mensch“ komme dabei zu kurz, sagt Markus Hertwig. Zwar nutze ein Großteil der Unternehmen das Mitarbeiterwissen, um E-Business-Projekte einzuführen und zu verbessern, die Betriebsräte würden jedoch nur selten beteiligt: „Die Einbindung des Betriebsrats als wichtigem Erfolgsfaktor wird in der Mehrzahl der Unternehmen vernachlässigt.“

Polarisierte Beschäftigte

Die RUB-Forscher sahen genauer hin, wie die Mitarbeiter beteiligt werden: Unternehmen binden häufig die Beschäftigten in Pilotprojekte ein, die ohnehin ein hohes Potenzial haben. „PC-ferne Beschäftigte“ würden aus diesem Prozess hingegen ausgeblendet, auch wenn sie später mit Internetanwendungen arbeiten müssen. In zunehmendem Maße öffne sich damit die Schere zwischen hochqualifizierten Einkäufern und Beschäftigten für einfachere Sachbearbeitung. „Die Beschäftigten sind polarisiert, damit ist der Erfolg der betrieblichen Restrukturierung in Frage gestellt“, so Hertwig. Abhilfe schaffe dann nur noch die individuelle Weiterbildung – und nicht die heute übliche, gruppenweise und standardisierte Qualifizierung.

Sicherheitslücken repräsentativ bestätigt

Zusätzlich warnen die Bochumer Sozialwissenschaftler vor erheblichen Sicherheitslücken in der Informationstechnik (IT) vieler Unternehmen: „Die Automobilzulieferindustrie ist zwar Vorzeigebranche im elektronischen Geschäftsverkehr, aber diesbezügliche Sicherheitsmaßnahmen spielen eher am Rande eine Rolle“, sagt Hellen Tackenberg. Die Branchenbefragung zeige zum Beispiel, dass in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) mit bis zu 499 Beschäftigten erhebliche Sicherheitsdefizite existieren. Insbesondere in eigentümergeführten Firmen bleibt der Posten eines IT-Sicherheitsbeauftragten in der Regel unbesetzt – „und das, obwohl ohne eine angepasste und gelebte IT-Sicherheit kein vertrauenswürdiges E-Business möglich ist“, so Tackenberg: „Insbesondere für den breiten Kreis von KMU in der Branche zeigen sich nun Ergebnisse, die diese Aussagen erstmalig repräsentativ bestätigen.“

Weitere Informationen

Forschungsprojekt „E-Business in der Automobilzulieferindustrie“:
Prof. Dr. Ludger Pries, Lehrstuhl für Organisationssoziologie und Mitbestimmungsforschung, Fakultät für Sozialwissenschaft der RUB, Tel. 0234/32-25429
Projektleiter: Dipl. Soz. Wiss. Gernot Mühge, Tel. 0234/32-25421, E-Mail: gernot.muehge@rub.de
Dipl. Soz. Wiss. Hellen Tackenberg, hellen.tackenberg@rub.de
Dipl. Soz. Wiss. Markus Hertwig, markus.hertwig@rub.de

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Dr. Josef König idw

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