Innovative Lösung für den Ausbau asbesthaltiger Fugendichtstoffe im Außenwandbereich von Plattenbauten

Ab Mitte der fünfziger Jahre wurden bis 1990 auf dem Gebiete der neuen Bundesländer ca. 2,15 Millionen Wohnungen in Fertigteilbauweise der verschiedenen Konstruktionssysteme und Laststufen, die meisten davon in Plattenbauweise, gebaut.

Die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsgesellschaften haben zunehmend mit den Problemen der Leerstände zu kämpfen. In einigen Regionen beträgt der Wohnungsleerstand bereits 20 % und mehr. Tendenz steigend! Die Ursache dafür liegt hauptsächlich in den trotz Sanierung der Wohnbereiche unattraktiven Wohnsiedlungen, den neuen Bedingungen für die wirtschaftliche Infrastruktur in den betroffenen Regionen und in der demografischen Bevölkerungsentwicklung begründet. Diese Leerstände verursachen den Wohnungsunternehmen erhöhte Kosten und senken die soziale Wohnqualität in den Wohngebieten. Der Gesamtverband der Deutschen Wohnungswirtschaft (GdW) und die Wohnungsunternehmen suchen deshalb nach Konzepten, die Leerstände zu reduzieren. Maßnahmen, diesen Leerständen entgegenzuwirken, bestehen im Rückbau von Geschossebenen und der qualifizierten Aufwertung der verbleibenden Wohnsubstanz sowie dem Abbruch von einzelnen Segmenten bis hin zu ganzen Wohngebäuden.

Mit dem Rückbau bzw. Abriss von Wohngebäuden werden die Wohnungsunternehmen mit einer Reihe neuer Probleme konfrontiert, deren Lösung für den reibungslosen Bauablauf unabdingbar ist. Eine sensible Problematik in diesem Zusammenhang ist das Vorhandensein von asbesthaltigen Baustoffen in der Wohnbausubstanz der Plattenbauten.

In verschiedenen Gebäudetypen wurden asbesthaltige Materialien sowohl im Wohnungsinneren als auch im Außenwandbereich eingesetzt. Vor dem Rückbau bzw. Abriss der betroffenen Gebäude muß hier generell eine Asbestentsorgung durchgeführt werden.

Von den heute als Gefährdungspotential in der Bausubstanz vorhandenen Asbestprodukten kommt dem asbesthaltigen polymergebundenen Fugendichtstoff Morinol eine besondere Bedeutung zu. Der Fugendichtstoff Morinol fand an verschiedenen Stellen der Wohngebäude sowohl im Innenbereich als auch im Außenbereich Verwendung. Er diente im Außenbereich zum Abdichten der Horizontal- und Vertikalfugen der Außenwandplatten, zur Fugenabdichtung an der Loggiaplatte sowie zum Abdichten der Fensterleibungen und der Hauseingänge. Im Innenbereich wurde er zum Abdichten der Fugen zwischen Treppenlauf und Innenwand, zum Eindichten der Klingelkästen und der Müllschluckeranlage eingesetzt. Der Fugendichtstoff Morinol wurde aus den KomponentenPolyvinylacetat, Hexylacetat, Octandiol, Rohasbest (20-50%) und teilweise Stahlkreide hergestellt. Definitionsgemäß ist nach geltendem Recht (Gefahrstoffverordnung, Technische Regeln für Gefahrstoffe TRGS 519 Asbest) das Morinol-Fugenkittmaterial ein Gefahrstoff, so dass beim bautechnischen Umgang mit diesem Material vom Ausbau bis zur Entsorgung hohe Anforderungen aus dem Arbeits- und Gesundheitsschutz und dem Umweltschutz zu erfüllen sind.

Von dieser Gefahrstoffbelastung sind in der Regel vorwiegend die Wohngebäude der P2-Serien betroffen, die bis Mitte der 80er Jahre errichtet wurden. Dies betrifft nicht nur fünfgeschossige, sondern vorrangig auch elfgeschossige Plattenbauwohngebäude. Vom Gebäudetyp P2 wurden beispielsweise 343.900 Wohneinheiten errichtet mit einer Fugendichtung von 9285,30 km.

Im Rahmen der Instandhaltung und Modernisierung der Gebäude sowie beim Rückbau der Gebäude durch Demontage oder beim Abbruch ist das asbesthaltige Material unter Berücksichtigung des Umweltschutzes zu entfernen und entsprechend der gültigen Regeln für den Umgang mit Gefahrstoffen zu entsorgen. Diese Leistungen sind als Voraussetzung vor jeglichen Baumaßnahmen zu erfüllen. Derzeit erfolgt der Gefahrstoffausbau durch verschiedene, in höchstem Maß kostenintensive und ergonomisch unbefriedigende sowie technisch unzureichende Verfahren. Der Fugendichtstoff wird generell mit mechanischen Werkzeugen entfernt. Als Werkzeug werden Meißel in Verbindung mit geeigneten Schlagwerkzeugen eingesetzt. Die Palette der Kombinationen reicht von Hammer und Meißel bis zu elektrisch bzw. elektropneumatisch betriebenen Bohrhämmern kombiniert mit unterschiedlichen Meißeln. Ein bevorzugtes Verfahren ist das Ausstemmen des Fugenkittes mittels Elektrohammer mit Breitmeißel. Diese Tätigkeit ist unabhängig von der möglichen Asbestfaserfreisetzung insbesondere durch das Herausbrechen der spröden Fugendichtung eine schwere körperliche Arbeit, wenn man bedenkt, dass es sich je Gebäudetyp um mehrere Kilometer zu entfernende Wandfuge handelt. Die ausführenden Arbeitskräfte erfahren körperliche Belastung durch Zwangshaltungen, starke Muskelbeanspruchungen, Vibrationen und Staub- und Lärmemissionen. Zum Schutz gegen Faserstäube ist eine P2-Atemschutzmaske und ein Einweg-Schutzanzug zu tragen. Insbesondere bei hohen

Die Arbeitsaufgabe des Rückbaus asbesthaltiger Fugenkitte im Fassadenbereich von Wohngebäuden in Fertigteilbauweise (Standardwohnblock mit 40 WE bis Hochhaus) erfordert technische Hilfsmittel, mit welchem die Arbeitskraft den Ort ihrer Tätigkeit schnell und sicher erreicht. Dabei kommen von den ausführenden Unternehmen verschiedene Lösungen zum Einsatz, wie Einrüsten der kompletten Fassade, Hängerüstungen und Hubbühnen. Untersuchungen haben gezeigt, dass der Kostenanteil für die technischen Ausrüstungen, zum Erreichen des Arbeitsplatzes „Außenfassade“, im Verhältnis zu dem für den Ausbau der Fuge benötigten Kostenanteil/Arbeitszeitaufwand in einem relativen Missverhältnis steht. Ziel eines vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie geförderten Forschungsvorhabens war die Entwicklung einer effizienten arbeits- und umweltschutzgerechten Technologie für den Ausbau von gefahrstoffhaltigen Fugendichtstoffen unter Berücksichtigung aller gültigen Bestimmungen und Verordnungen für den Umgang mit Asbest.

Durch das Institut für Fertigteiltechnik und Fertigbau Weimar e.V., die Herwig Bohrtechnik Schmalkalden GmbH und die KTW Fassadentechnik GmbH Weimar konnte ein innovatives Verfahren für den Ausbau asbesthaltiger Fugendichtstoffe entwickelt werden. Der Gefahrstoff wird mit einem hydraulischen Fugenausdrückgerät aus den Fugen zwischen den Betonelementen herausgedrückt. Der Antrieb des Drückwerkzeugs erfolgt hydraulisch. Durch eine wechselweise Beaufschlagung des Hydraulikzylinders ist ein sukzessiver Ausbau des Fugenkittes möglich. Das Arbeitsgerät hängt frei an einer Winde bzw. einem Balancer. Durch den Bediener wird das Gerät nur geführt, somit wird ein ermüdungsfreies Arbeiten auch über einen längeren Zeitraum möglich.

Die Erprobung des hydraulischen Fugenausdrückgerätes konnte erfolgreich an Plattenbauten in Erfurt durchgeführt werden. Der Fugendichtstoff wird ohne Betonanhaftung aus der Fuge herausgedückt und kann separat als Gefahrstoff in entsprechenden Behältern entsogt werden. Bei den durchgeführten Untersuchungen hinsichtlich Asbestfaseremissionen wurden keine Asbestfasern nachgewiesen. Die entstehenden Staubemissionen sind sehr gering, da der Fugendichtstoff langsam aus der Fuge herausgedrückt wird und der Beton nicht zerstört wird. Das Verfahren verursacht keine Lärmemissionen und reduziert die körperliche Belastung für den Bediener.

Die Verfahrensentwicklung ist neben der technischen Innovation für den Gefahrstoffausbau im Außenwandbereich der Plattenbauten, gleichzeitig ein wichtiger Beitrag für den Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz. Die unmittelbar am Gefahrstoffausbau tätigen Arbeitskräfte als auch die Bevölkerung der angrenzenden Wohnbebauung werden nicht durch schädliche Asbestfaseremissionen gefährdet, da bei dem neuen Ausbauverfahren keine Faseremissionen nachgewiesen wurden.

Weitere Informationen:

Institut für Fertigteiltechnik und Fertigbau Weimar e.V.
Cranachstr. 46, 99423 Weimar
Tel: 03643/868-40, Fax: -417
Email: kontakt@iff-weimar.de

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Dipl.-Ing. Barbara Leydolph IFF-Weimar

Weitere Informationen:

http://www.iff-weimar.de

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