Genetischer Auslöser für die Unterschiede in Winter- und Sommergerste entdeckt

Die Gerste musste sich an die veränderten klimatischen Bedingungen hierzulande anpassen: Dabei entstand im Laufe der Evolution die Sommergerste. (Quelle: © Albrecht E. Arnold / pixelio.de)<br>

Nun entdeckten Forscher einen molekularen Schalter für die Anpassung an unterschiedliche Klimazonen: Die Mutation einer einzelnen Aminosäure führte zur Entstehung der Sommergerste. Auch dieses Mal waren Einrichtungen aus Deutschland maßgeblich beteiligt.

Vor etwa 10.000 Jahren begann der Mensch mit der Kultivierung der Gerste, wodurch die Kulturgerste (H. vulgare L. ssp. vulgare) entstand. Die Wildgerste (Hordeum vulgare L. ssp. spontaneum) stammt ursprünglich aus dem Nahen Osten. Dort folgen auf heiße und trockene Sommer starke Niederschläge im Herbst. Für die Gerstenpflanzen sind das optimale Wachstumsbedingungen. Für die hiesige Wintergerste erfolgt die Aussaat bereits im Herbst. Die Körner benötigen den Kältereiz, dieser wird wissenschaftlich als Vernalisation bezeichnet, zur Keimung im Frühjahr. Dadurch nutzt die Gerste die Vegetationsperiode optimal aus. Auch wenn die Böden noch feucht und unbefahrbar sind, beginnt diese bereits zu wachsen.

Verbreitung und Anpassung der Gerste in Europa

Vom Nahen Osten brachten Bauern und Händler die Gerste dann nach Norden und Westen, in die gemäßigte Klimazone. Das Getreide musste sich an kühlere Sommer und eisige Winter anpassen, die die Wintergerste nicht mehr überdauern konnte. Im Laufe der Evolution und gezielter Zucht entstand so die Sommergerste. Im Gegensatz zur Wintergerste wird Sommergerste im Frühjahr ausgesät und kann noch im Herbst des gleichen Jahr geerntet werden.

Anpassung hinterlässt genetischen Fußabdruck im Gerstengenom

Ein internationales Forscherteam, darunter deutsche Forscher vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben, griffen auf genetische Analysen von Sommer- und Wintergerste zurück, um den genetischen Hintergrund dieser Anpassungsprozesse an diese neuen Umgebungen zu untersuchen.

Sie untersuchten dafür mehrere Gene (Stammbaumanalyse), die für die Kontrolle der unterschiedlichen Blühperioden entscheidend sind. Diese ist von verschiedenen Umweltreizen wie der Tageslänge und den Temperaturen abhängig.

Wie die Wissenschaftler feststellten, haben die Anpassungsprozesse von Sommer- und Wintergerste an die unterschiedlichen europäischen Klimabedingungen im Gerstengenom gewissermaßen einen „genetischen Fußabdruck“ hinterlassen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Variation des Gens HvGen, dass die Blühperiode mit kontrolliert.

Ein kleiner Unterschied mit großer Wirkung

Die Wissenschaftler entdeckten, dass der Austausch einer einzelnen Aminosäure der Auslöser für die Entwicklung der unterschiedlichen Genpoole war. Genau diese Variation im HvCEN Gen führt zu langen bzw. kurzen Blühzeiten in den unterschiedlichen Gerstenformen.

Den Beweis dafür erbrachten Studien mit HvCEN Mutanten, d.h. mit Pflanzen, die diese spezielle Veränderung der Aminosäurenfolge aufwiesen. Mutationen des Gens führten dazu, dass die Gerstenpflanzen 4-10 Tage früher blühten, als der Wildtyp. Das frühe Blühen verschafft der Sommergerste einen Anpassungsvorteil, so dass sie die kalten Winter nicht mehr überstehen muss, um sich fortzupflanzen und Körner zu bilden.

Besseres Verständnis der Genome hilft in der Praxis

Dass eine minimale genetische Veränderung die Gerste dazu befähigte, sich an das unterschiedliche Klima in Europa anzupassen, erstaunte selbst die Forscher.

„Unsere Ergebnisse sind entscheidend für das Verständnis zur Anpassungsfähigkeit von Pflanzen an neue Umweltbedingungen. Insgesamt ist es ein eindrucksvolles Beispiel für die Effizienz in der pflanzlichen Evolution“, fasst Dr. Benjamin Kilian vom IPK Gatersleben, leitender Wissenschaftler auf deutscher Seite, die Forschungs-ergebnisse zusammen. Er erkennt hier auch einen praktischen Nutzen: „Dies kann neue Ansätze für die Pflanzenzüchter eröffnen, um Herausforderungen wie Klimawandel oder der Ausweitung landwirtschaftlicher Flächen auf weniger fruchtbare Gebiete zu begegnen.“

Die Gerste ist dabei aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung eine interessante Forschungspflanze: Heute ist Gerste die viertwichtigste Getreidepflanze weltweit, ebenso in Deutschland. 2011 wurden hierzulande auf knapp 1,6 Mio. Hektar Gerste angebaut (Statistisches Bundesamt, 2012). Aber auch ihre evolutionäre Nähe zur Weltnahrungspflanze Weizen machen die Gerste zum begehrten Forschungsobjekt. Besser als von jeder anderen Pflanzenart lassen sich viele Ergebnisse der Gerste direkt auf Weizen übertragen.

Da der Genomaufbau des Weizens wesentlich komplexer ist als der der Gerste, dient die Gerste den Weizenforschern als wichtiges Referenzsystem. Dass dabei auch die Gerstengenomforschung eine Herausforderung bleibt, unterstreicht bereits ein einfacher Größenvergleich: Dieses ist fast doppelt so groß, wie das des Menschen und trotz aller Fortschritte bisher noch nicht vollständig entschlüsselt. Dieses Jahr kam man dem Ziel, der vollständigen Sequenzierung ein großes Stück näher. Ein Forscherkonsortium – welches von Niels Stein (IPK Gatersleben) geleitet wird, der ebenfalls an der vorliegenden Studie beteiligt war – veröffentlichte eine zu 80 Prozent vollständige physikalische Karte des Gerstengenoms. Damit lassen sich die Gene der Gerste mit hoher Präzision lokalisieren. Auf diesen Ergebnissen aufbauend hofft man, dass komplexe Genom bald gänzlich entschlüsseln zu können.

Quelle:
Comadran, J. et al. (2012): Natural variation in a homolog of Antirrhinum CENTRORADIALIS contributed to spring growth habit and environmental adaptation in cultivated barley. In: Nature Genetics (2012), 18. November 2012, doi:10.1038/ng.2447.

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