Schlankheit als Risiko

Diese Bäume sind erkennbar gefährdet. Tatsächlich liegt das H/D-Verhältnis bei fast 60 und damit jenseits des kritischen Wertes

Kriterium für das Versagen von Bäumen entdeckt

Es muss nicht gleich ein Orkan wie „Lothar“ sein: Auch bei geringeren Belastungen können eigentlich gesunde Bäume umstürzen. Biomechaniker des Forschungszentrums Karlsruhe haben nun in Feldstudien herausgefunden, wann zu schlanke Bäume zum Risiko werden. Freistehende Bäume sind zunehmend gefährdet, wenn das Verhältnis aus Baumhöhe und Stammfußdurchmesser größer als 50 wird. Diese Zahl unterschreitet bisher zugrunde gelegte Werte deutlich.

Ein einzeln aufwachsender Baum kennt keine Schlankheitsprobleme, er strebt ein optimales Verhältnis von Baumhöhe (H) zu Stammfußdurchmesser (D) zwischen 25 und 35 an. Bei einer Höhe von 35 Meter hat er also am Stammfuß eine Dicke von mindestens einem Meter. Bäume in einem Waldbestand wachsen dagegen schneller in die Höhe. Trotzdem stehen sie im Bestand noch lange stabil, weil sich Kronen und Wurzeln gegenseitig stützen und die Windlasten kleiner sind. Erst nach einer Bestandslichtung oder gar Freistellung werden solche Bäume zum Risiko. Die schlanken Stämme werden erst vom Wind verbogen; wegen ihrer Kopflastigkeit zieht das Eigengewicht sie dann endgültig zu Boden. Auf mehreren Kontinenten durchgeführte Feldstudien an fast 3000 Bäumen ergaben, dass der Grenzwert für das Verhältnis H/D bei 50 liegt. Bei höheren Werten nimmt die Versagensrate der Bäume – sei es durch Windwurf oder Stammbruch – rapide zu.

„Die Höhe des Baumes allein ist kein Risiko“, stellt Professor Dr. Claus Mattheck, Leiter der Abteilung Biomechanik im Institut für Materialforschung des Forschungszentrums Karlsruhe fest. „So haben die bis zu 100 Meter hohen Sequoias in Nordamerika meist ein H/D-Verhältnis unter 30 und liegen damit im optimalen Bereich.“

Nur gertenschlanke, biegeweiche Jungbäume können ohne Risiko viel höhere Werte als H/D = 50 haben, weil ihre Krone so leicht ist, dass auch bei starker Windbiegung der Baum ohne Schneelast nicht zu Boden gezogen wird. Mit zunehmendem Alter werden solitäre Bäume dagegen immer kompakter. Älteste englische Eichen haben nicht selten H/D-Werte unter zehn. Der Stamm wächst dann weiter in die Dicke, während die Krone von oben nach unten zurückstirbt; der Baum kürzt sich selbst ein.

Bäume verstärken alljährlich ihren Stamm um einen neuen Jahresring. Dessen Breite hängt unter anderem von der Menge der Assimilate ab, die in der Baumkrone gebildet werden. Vor allem im engen Waldbestand sind die Stämme meist lang und die Kronen klein und hoch angesetzt. Hier wächst nur der kronennahe, also obere Stammbereich noch kräftig zu. Der erdnahe Stammbereich bildet immer dünnere Jahresringe. Dadurch werden die Stämme immer kopflastiger und sehen fast zylindrisch aus.

Unvorteilhaft hohe H/D-Verhältnisse sind die Folge des Lichthungers der Bäume, also des phototropen Wachstums, beispielsweise bei zu dichter Pflanzung auch bei Alleebäumen. Ursache können aber auch Eingriffe in die natürlich gewachsene Baumgestalt sein: Die Entfernung unterer Äste, die dem Stammfuß Assimilate geliefert hätten oder eine Kronensicherung, die Schwingungen und damit Stimulanz zum Dickenwachstum von Baumteilen unterdrückt. Dies gilt besonders, wenn solche Verseilungen nicht von Kroneneinkürzungen begleitet werden, die weiter unten Neuaustriebe anregen können.

„Das neue Versagenskriterium ist auch ein Beitrag zum Rechtsfrieden, weil es vorhersehbare von unvorhersehbaren Baumunfällen deutlich abgrenzt“, so Mattheck. „Wir haben sogar schon Anfragen aus den USA, wo Betreiber von durch Wälder führenden Stromleitungen auf die Ergebnisse warten.“

Die Ergebnisse werden nicht nur in der wissenschaftlichen Literatur veröffentlicht, sondern sind auch in das soeben erschienene Buch von Professor Mattheck eingegangen: Seine neueste Schöpfung, die Cartoonfigur des Bären Pauli, weiht auch Formelängstliche in die Geheimnisse der Biomechanik ein. Das Buch von C. Mattheck: „Mechanik am Baum – erläutert mit einfühlsamen Worten von Pauli dem Bär“ wurde vom Forschungszentrum Karlsruhe verlegt und ist bei der Buchhandlung Mende in Karlsruhe zu beziehen (Tel. 0721/981610).

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Inge Arnold idw

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