In den Tiefen des Erbguts

Die „Kraniosynostose vom Typ Philadelphia“ ist glücklicherweise eine seltene Krankheit: Weniger als eines unter einer Million Kinder ist davon betroffen. Die Patienten leiden unter einem vorzeitigen Verschluss der Schädelnähte; außerdem wachsen bei ihnen einzelne Finger zusammen, so dass die Hand einem Fausthandschuh ähnelt.

1996 haben US-Wissenschaftler die Krankheit zum ersten Mal in einer Fachzeitschrift beschrieben. 14 Jahre später konnten Wissenschaftler der Charité und des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik in Berlin die Ursachen dieser Krankheit aufdecken. Daran beteiligt war die Arbeitsgruppe von Dr. Eva Klopocki. Seit diesem Wintersemester ist die Forscherin Professorin am Institut für Humangenetik der Universität Würzburg.

Fehler beim Kopieren

Genetische Grundlagen von angeborenen Fehlbildungen speziell der Extremitäten und von Entwicklungsverzögerungen sind ein Forschungsschwerpunkt von Eva Klopocki. Ihr spezieller Fokus liegt dabei auf „Kopienzahlveränderungen“ – also Fällen, in denen genetisches Material verloren gegangen ist oder sich ungewollt vermehrt hat. „Solche Veränderungen sind wesentlich für die Variabilität unserer Erbguts verantwortlich“, erklärt die Wissenschaftlerin. Die Veränderung der Kopienzahl ist einerseits treibende Kraft in der Evolution, andererseits spielt sie auch bei der Entstehung vieler, vor allem erblichen Krankheiten eine bedeutende Rolle. So auch im Fall der Kraniosynostose vom Typ Philadelphia.

Ein- und Ausschalter für Gene

Eva Klopocki und ihre Berliner Kollegen konnten zeigen, dass nicht ein Defekt in einem einzelnen Gen für die krankhaften Veränderungen verantwortlich ist, sondern ein bestimmtes Element in dem Bereich des Erbguts, der gar nicht dafür vorgesehen ist, bestimmte Proteine zu kodieren. „Dieses Element, ein sogenannter Regulator, hat die Aufgabe, ein spezielles Gen während der Entwicklung des Embryos zu steuern“, erklärt die Wissenschaftlerin. Allgemein gesagt sind Regulatoren dafür verantwortlich, zum exakt richtigen Zeitpunkt Gene und Proteine an- und abzuschalten, damit während der Embryonalentwicklung so komplexe Strukturen wie Hände oder Schädel entstehen können.

Diese nicht-kodierenden Elemente im menschlichen Erbgut sind ein weiterer Schwerpunkt von Eva Klopocki. Als sogenannte „long-range Regulatoren“ können sie auch über große Entfernungen hinweg auf ihre Zielgene einwirken. „Mich interessieren die zugrunde liegenden Mechanismen der long-range Regulation, das heißt wie, wo und wann die Regulatoren mit dem Zielgen interagieren“, sagt Klopocki.

Schnelle Suche mit neuer Technik

In ihrer Arbeit setzt die Wissenschaftlerin auf eine vergleichsweise junge Technik: die Mikroarray-basierte komparative genomische Hybridisierung (Array-CGH). „Diese Methode ermöglicht ein genomweites Screening zum Nachweis von Kopienzahlveränderungen“, so Klopocki. Sie sei inzwischen elementarer Bestandteil der klinischen Forschung, wenn bei einer Erkrankung oder Entwicklungsstörung eine genetische Grundlage vermutet wird. Die konventionelle Chromosomenanalyse helfe in solchen Fällen nicht weiter.

Fehlbildungen an den Extremitäten zählen zu den häufigen angeborenen Fehlbildungen beim Menschen. Die Suche nach deren genetischen Ursachen betreibt Eva Klopocki seit vielen Jahren. Durch den Einsatz der Array-CGH ist es ihr gelungen, bei verschiedenen Extremitätenfehlbildungen Kopienzahlveränderungen als Auslöser zu identifizieren. Damit hat sie zu einem besseren Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen beigetragen.

Zur Person

Eva Klopocki (37) wurde in Wuppertal geboren. An der Universität Ulm studierte sie von 1994 bis 2000 Biologie mit dem Abschluss „Diplom“. Es folgten Stationen als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei metaGen Pharmaceuticals in Berlin und am Institut für Medizinische Genetik und Humangenetik der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Parallel dazu absolvierte sie ein berufsbegleitendes Studium „Master of Business Administration Biotechnologie und Medizintechnik“ an der Universität Potsdam.

2004 promovierte sie zu dem Thema: „Expressionsanalyse und funktionelle Charakterisierung von zwei neuen Tumorsuppressorgen-Kandidaten des Mammakarzinoms“ am Fachbereich Biologie der Freien Universität Berlin. Von 2006 bis zu ihrem Wechsel an die Universität Würzburg war sie Leiterin des Array-CGH-Labors am Institut für Medizinische Genetik und Humangenetik der Charité. Seit Oktober 2012 hat sie die W2-Professur für Humangenetik am Institut für Humangenetik der Universität Würzburg inne.

Kontakt

Prof. Dr. Eva Klopocki, T: (0931) 31-89779; eva.klopocki@uni-wuerzburg.de

Media Contact

Robert Emmerich Uni Würzburg

Weitere Informationen:

http://www.uni-wuerzburg.de

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